JUVE: Der Commercial Court ist Anfang November gestartet – was ist sein Ziel?
Patrick Melin: Die Zielsetzung ist ambitioniert: Wir wollen für große nationale und internationale Wirtschaftszivilstreitigkeiten in jeder Hinsicht ein geeignetes Forum zur Verfügung stellen.
Torsten Henning: Und zwar mit all den Vorzügen einer Entscheidung durch die staatliche Gerichtsbarkeit: effiziente Rechtsdurchsetzung, richterliche Unabhängigkeit, moderate Gerichtsgebühren, schneller und effektiver einstweiliger Rechtsschutz und dergleichen mehr.
Denken Sie, dass der Brexit eine Verlagerung der Streitbeilegung hin zum deutschen Verfahrensrecht mit sich bringt?
Patrick Melin: Ich glaube, man kann auf jeden Fall die berechtigte Erwartung haben, dass mit dem Brexit nicht nur wirtschaftliche Einbußen für Großbritannien, sondern auch ein gewisser Bedeutungsverlust des traditionsreichen Gerichtsstandortes London einhergehen werden. Diese Lücke gilt es zu füllen, und da ergeben sich schon Chancen für den Gerichtsstandort Deutschland und für ‚Law Made in Germany‘.
Torsten Henning: Was wir den beteiligten Playern anbieten können, ist ein bereits eingespieltes Verfahrensrecht, sehr gute Personal- und Sachausstattung sowie ein repräsentatives Umfeld, um auch komplexe Verfahren zu bewältigen.
Es gibt hierzulande schon englischsprachige Landgerichtskammern, zum Beispiel in Frankfurt und Hamburg – was machen Sie anders?
Patrick Melin: Das Konzept des Commercial Court Stuttgart ist nach meiner Einschätzung wesentlich ambitionierter und breiter angelegt als bisherige Initiativen, da wir weit mehr bieten als ‚nur‘ die Option, auf Wunsch in englischer Sprache verhandeln zu können. So verfügen wir in Stuttgart über repräsentative neue Räumlichkeiten, die in vielerlei Hinsicht ‚State of the Art‘ sind. Unsere Sitzungssäle sind mit modernster Verhandlungstechnik ausgestattet. Darüber hinaus erlaubt uns die räumliche Situation, bei der Terminierung viel flexibler zu sein als eine normale Kammer am Landgericht. So können wir zum Beispiel bei Bedarf in Großverfahren ohne weiteres auch mehrere Tage am Stück verhandeln, wenn die Parteien das wünschen.
Kann denn ein klassischer Richter den Anforderungen komplexer Wirtschaftsverfahren gerecht werden?
Patrick Melin: Der Stuttgart Commercial Court ist speziell mit Richtern besetzt, die allesamt über vertiefte wirtschaftsrechtliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Viele der Kollegen haben in Großkanzleien gearbeitet, eine ganze Reihe verfügt über internationale Abschlüsse, alle sprechen selbstverständlich Englisch.
Torsten Henning: Zudem fahren wir in Stuttgart und Mannheim zweigleisig: Die Parteien haben die Wahl, ob sie ihren Fall wie bisher vor der Kammer für Handelssachen mit einem Berufsrichter und zwei Handelsrichtern oder – und das ist neu – vor der Zivilkammer mit regelmäßig drei Berufsrichtern verhandeln möchten. Die Zivilkammer kann sich etwa anbieten, wenn der Fall juristisch hochkomplexe Fragestellungen aufwirft. Das hat sich in Mannheim etwa in Patentstreitigkeiten jahrelang bewährt. Die Kammer für Handelssachen kann sich eignen, wenn das Verfahren unabhängig von den rechtlichen Fragen vorrangig vertieften kaufmännischen Sachverstand und kaufmännische Erfahrung erfordert.
Damit sind Sie nun im direkten Wettbewerb zu den Schiedsgerichten, denen ja mehr Effizienz nachgesagt wird, vor allem wenn es um den Instanzenzug geht. Den können Sie nicht verkürzen, oder?
Torsten Henning: Doch, auch hier haben die Parteien die Wahl: An den Oberlandesgerichten Stuttgart und Karlsruhe wurden spezialisierte Rechtsmittelsenate eingerichtet, die für die Berufungen und Beschwerden gegen die Entscheidungen der Kammern in Stuttgart und Mannheim zuständig sind und ebenfalls vergleichbare Vorteile bieten. Sind sich die Parteien dagegen einig, dass der Streit schnell und endgültig in nur einer Instanz entschieden werden soll, besteht die Möglichkeit, den Instanzenzug durch einvernehmlichen Verzicht auf Rechtsmittel zu begrenzen – auch schon zu Beginn des Verfahrens.
Patrick Melin: Insofern ist es etwas irreführend, wenn gelegentlich gesagt wird, ein wesentlicher Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber staatlichen Gerichten sei der fehlende Instanzenzug – auch bei uns kann man das Verfahren auf eine Instanz beschränken, wenn die Parteien das wünschen.
Viele entscheiden sich für Schiedsgerichte, weil die Verfahren nicht öffentlich sind und spezialisierte Richter entscheiden, auf deren Auswahl die Parteien Einfluss haben. Wie wollen Sie mit der Schiedsgerichtsbarkeit konkurrieren, wenn Sie diese Vorteile nicht bieten können?
Patrick Melin: Weil wir andere Vorteile bieten! Beim Schiedsgericht ist im Regelfall nur einer von drei Schiedsrichtern – übrigens öfters ein Berufsrichter – neutral, während die anderen beiden jeweils einseitig von den Parteien benannt werden. Unseren Entscheidungen hingegen liegt die Beratung von drei unabhängigen und nur Recht und Gesetz verpflichteten Richtern zugrunde, die speziell aufgrund ihrer einschlägigen Fachkenntnis und ihres wirtschaftlichen Sachverstands für den Commercial Court ausgewählt wurden. Wir bieten damit sehr hohe juristische Qualität, und das, wenn man sich die Gerichtsgebühren anschaut, zu einem vergleichsweise moderaten Preis.
Die Fragen stellte Sonja Behrens