36.000 Seiten Papier. So viel brauchte es insgesamt, bis der baden-württembergische Energieversorger EnBW die Genehmigung für den Bau dreier Windenergieanlagen erhielt. Die Zahl, die ein LinkedIn-Nutzer veröffentlichte, verdeutlicht, wie viele Hindernisse dem Windkraftausbau in Deutschland im Wege stehen. Und auch die Genehmigung bedeutet nicht automatisch die Realisierung einer Windkraftanlage, denn dagegen wird regelmäßig geklagt.
In Baden-Württemberg führt das laut einer dpa-Umfrage dazu, dass in dem flächenmäßig drittgrößten Bundesland derzeit die geringste Fläche für Windkraft genutzt wird. Um das möglichst schnell zu ändern, nahm Anfang August der 14. Senat – der sogenannte Infrastruktur-Senat – am Mannheimer Verwaltungsgerichtshof seine Arbeit auf. Im Wechsel mit dem 10. Senat landen dort künftig alle Auseinandersetzungen über den Bau, Betrieb oder Änderungen von Windkraftanlagen in Baden-Württemberg mit einer Höhe von mehr als 50 Metern. Zudem führt der Senat Verfahren aus dem Wasserstraßen- und Versammlungsrecht.
Das sind die Infrastruktur-Experten
Der neue Mannheimer Senat ist mit drei, bei Normenkontrollverfahren mit insgesamt fünf Richtern besetzt: |
Dr. Christian Hug (Vorsitzender Richter) |
Thomas Baumeister |
Dr. Wilfried Holz |
Dr. Stefan Bauer |
Dr. Julian Nusser |
Anders als bislang ist der Verwaltungsgerichtshof nicht erst als Berufungsinstanz zuständig. Damit reagiert die Justiz auf das im Dezember 2020 in Kraft getretene Bundesgesetz zur Beschleunigung von Investitionen, das unter anderem eine erstinstanzliche Zuständigkeit vorsieht bei den obersten Verwaltungsgerichten der Länder für bestimmte Infrastruktur-Projekte. Die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten beim Verwaltungsgerichtshof ist zudem sinnvoll, weil die grün-schwarze Landesregierung im Mai das Widerspruchsrecht für Bürgerinnen und Bürger abgeschafft hat. Seitdem steht ihnen nur noch der verwaltungsrechtliche Klageweg offen, was mehr Verfahren nach sich ziehen dürfte.
Genehmigungsverfahren bleiben das Nadelöhr
„Dadurch, dass mehr Kapazitäten geschaffen wurden und eine Instanz wegfällt, wird sich die Verfahrensdauer voraussichtlich verkürzen“, meint Dr. Matthias Hangst, Partner bei der auf Öffentliches Recht spezialisierten Kanzlei Dolde Mayen & Partner in Stuttgart. „Gleichzeitig klären Verwaltungsgerichte in erster Instanz oft bereits vorgelagerte Fragen, die nun alle beim Verwaltungsgerichtshof landen.“
Das eigentliche Problem sieht Hangst jedoch an anderer Stelle: „Der neue Senat kann nur da helfen, wo bereits Genehmigungen für Windkraftanlagen erteilt wurden, gegen die geklagt wird.“ Laut dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg wurden dort im gesamten Jahr 2021 jedoch lediglich elf Windräder mit einer Höhe von mehr als 50 Metern genehmigt. „Somit bleibt das Genehmigungsverfahren das Nadelöhr“, sagt Hangst.
Zunehmende Spezialisierung auch an Zivilgerichten
Auch in Nordrhein-Westfalen sollen die Gerichte ihren Teil zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren beitragen: Die Landgerichte in Bielefeld und Essen haben zu Beginn des Jahres Spezialkammern für erneuerbare Energien eingerichtet. Sie führen seitdem Zivilprozesse aus dem Bereich mit einem Streitwert von mehr als 100.000 Euro. Dabei fallen nicht nur Streitigkeiten über Windkraftanlagen in ihre Zuständigkeit, sondern etwa auch über Biogas-, Wasserstoff oder Solarenergieanlagen. Die Bündelung ihrer Kompetenzen in den Spezialkammern soll den Gerichten helfen, Verfahren kompetent und zügig zu entscheiden.
Für Dr. Thomas Höch, Partner der auf Energierecht spezialisierten Kanzlei Höch und Partner in Dortmund, bestätigt sich darin ein zunehmender Trend an deutschen Gerichten: „Spezialkammern oder Senate sind sowohl an Verwaltungs- als auch an Zivilgerichten derzeit noch selten, werden jedoch immer häufiger.“ Seiner Meinung nach setzt sich an den Gerichten die allgemeine Entwicklung hin zu mehr Spezialisierung fort, die in der zunehmenden Abkehr vom Universaljuristen auch in der Anwaltschaft sichtbar sei. „Der Vorteil für uns Anwälte ist, dass die Streubreite der Verfahren geringer wird, sodass wir die Richter besser einzuschätzen lernen.“ Die Wirkung der Spezialkammern auf die Verfahrensdauer wird sich in den nächsten Jahren zeigen. (mit Material von dpa)
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des JUVE Rechtsmarkt 10/2022.