JUVE: Welche Tragweite hat es, wenn Kanzleien wie Paul Weiss, Perkins Coie sowie Covington & Burling die Sicherheitsfreigaben durch eine Executive Order von Donald Trump verlieren?
Prof. Dr. Thomas Pfeiffer: Es gibt zwei unmittelbare Folgen: Der Zugang zu bestimmten Gebäuden wird eingeschränkt. Dies wird sogar ausdrücklich in den Verfügungen erwähnt, ist aber auch eine Folge des Verlusts der Freigabe. Möglicherweise noch wichtiger ist, dass die Anwälte nicht mehr befugt sind, geheimhaltungsbedürftige Dokumente zu sehen und rechtlich zu prüfen.
Das wirkt sich nicht nur auf die Beratung staatlicher Stellen aus. Denn es ist ja nicht auszuschließen, dass derart geheime Dokumente auch bei Mandaten von Unternehmen des privaten Sektors eine Rolle spielen. Und von deren Prüfungen sind jetzt Mitarbeiter der betroffenen Kanzleien in bestimmtem Umfang ausgeschlossen. Der Entzug der Sicherheitsfreigabe geht also über den bloßen Ausschluss von staatlichen Aufträgen und dem Betreten öffentlicher Gebäude hinaus.
Können Sie Beispiele nennen, wann Mandate privater Unternehmen betroffen sein könnten?
Spezifische Kenntnisse habe ich dazu nicht. Aber sehr wahrscheinlich können geheimhaltungsbedürftige Dokumente bei der Beratung von privaten Firmen im militärischen Sektor oder bei kritischer Infrastruktur eine Rolle spielen.
Mit Covington & Burling ist auch eine Kanzlei mit deutschem Standort tangiert. Welche Folgen haben die aktuellen Entwicklungen in den USA für deutsche Anwälte? Was könnte auf internationale Kanzleien mit deutschen Büros zukommen?
Man wird abwarten müssen, in welchem Umfang Kanzleien betroffen sein können, die auch in Deutschland tätig sind. Wenn man sich die bereits vorliegenden Verfügungen und die angekündigten Überprüfungen insbesondere der Diversity-Politik von 20 Kanzleien anschaut, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich weitere Folgen auch auf Kanzleien mit deutschen Standorten erstrecken. Die Dekrete von Trump wurden allerdings gerade erst erlassen. Die praktischen Auswirkungen wird man wahrscheinlich erst langfristig wirklich vollständig beurteilen können.
Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie?
Es gibt zwei Ebenen. Zunächst die juristische: Betroffene Kanzleien werden juristische Nachteile rechtlich überprüfen lassen. Hinzu kommt die psychologische Ebene: Die Regierung versucht in Trumps zweiter Amtszeit noch deutlicher, das öffentliche Leben über das unmittelbare Regierungshandeln hinaus zu durchdringen. Die darin liegende politische Kampfansage wird Reaktionen und Gegenreaktionen auslösen. Es wird sich zeigen, welche Positionen auf lange Sicht die Oberhand behalten werden. Jedenfalls ist klar: die Existenz einer freien Advokatur, die von politischen Repressalien unbeeinflusst handeln kann, ist ein prägendes Merkmal einer freien Gesellschaft. Daran kann aus meiner Sicht kein Zweifel bestehen. Deswegen sehe ich nicht ohne Sorge, wenn die Vergabe von Aufträgen durch staatliche Organisationen von politischen Präferenzen abhängig gemacht wird. Den Eindruck kann man ja gewinnen, dass das so ist. Der rechtliche Ansatzpunkt der Dekrete ist zwar die Frage, ob Kanzleien das Antidiskriminierungsrecht im US-amerikanischen Civil Rights Act korrekt anwenden. Das eigentliche Motiv zielt aber auf eine politische Auseinandersetzung und geht über das rechtliche weit hinaus.
In Deutschland und Europa sind öffentliche Stellen in großem Umfang durch das Vergaberecht gebunden, das politischen Vergabemotiven entgegensteht oder diese doch sehr begrenzt. Insofern haben wir jedenfalls nach geltendem Recht einige Sicherheitsschranken, die ein Überschwappen derartiger Vorstellungen nach Europa jedenfalls zumindest erschweren.
Wie können sich Kanzleien wehren?
In den USA sehe ich in erster Linie drei Wege. Das Erste ist ein Weg, der bereits beschritten wurde, soweit ich den Medien entnommen habe: Die betroffenen Anwaltskanzleien können klagen und tun das auch. Man wird sehen, was aus diesen Verfahren wird. Die zweite Alternative ist, dass die Trumpschen Verfügungen in vielerlei Punkten salvatorische Klauseln mit der Formulierung „to the extent legally permissible“ oder Ähnliches enthalten. Das heißt: Sie stellen sich selbst unter den Vorbehalt, dass sie überhaupt rechtlich zulässig sind. Ich bin sicher, dass auch diese Klauseln vor Gericht ausgetestet werden. Und drittens gibt es natürlich die gesamte politische Diskussion. Denn Donald Trump erlässt diese Verfügungen als politische Maßnahme und politische Maßnahmen haben nun mal Gott sei Dank die Eigenschaft, dass man sie politisch in der Öffentlichkeit diskutieren und infrage stellen kann.
Aber man hat den Eindruck, da passiert aktuell nicht allzu viel.
Ich vermag nicht vollständig einzuschätzen, wie die Diskussions- und Konfliktlage in den USA ist. Man muss sehen, dass es einen großen Unterschied in der politischen Kultur der USA im Vergleich zu Deutschland gibt. Hierzulande gehen wir in weitaus größerem Umfang davon aus, dass Öffentliches und Privates zwei getrennte Felder sind. Es ist bei uns ganz unüblich, dass sich Tageszeitungen, Unternehmen oder Anwaltskanzleien öffentlich für oder gegen eine Person als zukünftigen Präsidenten oder als Bundeskanzler in Deutschland aussprechen. Einzelne Personen tun das, aber eben nicht ganze Organisationen. In den USA ist das in gewissem Umfang anders. Das beruht darauf, dass die Trennung des Politischen vom Privaten dort weitaus weniger ausgeprägt ist. Deshalb ist es auch weitaus üblicher als in Deutschland, wenn Anwaltskanzleien politische Statements abgeben. In Deutschland rechne ich damit jedenfalls politisch weniger. Die Anwaltskanzleien werden sich aber, da bin ich sicher, zu Wort melden, wenn ihre konkrete Tätigkeit behindert oder gefährdet wird.
Allerdings hat die American Bar Association vor Erlass der Executive Orders noch die Freiheit von Anwälten verteidigt, Mandanten zu vertreten, ohne Vergeltungsmaßnahmen fürchten zu müssen. Inzwischen hält sie sich mit Solidaritätsbekundungen zurück.
Das könnte auch damit zusammenhängen, dass die Verfügungen eine Reihe von Rechtsfragen aufwerfen, deren Antwort durchaus nicht offensichtlich ist. Und man erst mal abwarten muss, wie sich die äußeren Rahmenbedingungen oder Leitplanken darstellen. Auf der anderen Seite ist es immer so: Der Anwaltssektor ist in den USA wirtschaftlich gesehen breiter, größer noch als in Deutschland. Man wird sehen müssen, wer sich da äußert. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass die Bar Association auch darauf Rücksicht nehmen muss, dass nicht alle ihre Mitglieder dieselbe politische Auffassung vertreten.
Welche Stimmung beobachten Sie unter den Anwälten?
Bisher gibt es in der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung noch keine ausdrücklichen Reaktionen. Ich bin aber sicher: die Mitgliedskanzleien prüfen und beobachten diese Vorgänge sehr sorgfältig. Wir als DAJV sehen uns zunächst mal nicht als politische Organisation. Unsere Aufgabe liegt nicht primär darin, zu derartigen Vorgängen eine Verbandsmeinung zu bilden. Da wir aber als Ziel haben, den transatlantischen Rechtsverkehr zu fördern, sind wir natürlich auch in gewissem Umfang berührt. Ich bin sicher, dass wir das Thema auf Veranstaltungen ansprechen werden.
Welche Reaktionen aus Deutschland sind denkbar?
Wir haben es mit einem Vorgang zu tun, der für das Phänomen des politischen Populismus durchaus typisch ist: Ein möglicherweise existentes Problem wird als Mittel des politischen Kampfes instrumentalisiert. Die äußere Stoßrichtung der Trumpschen Dekrete richtet sich ja gegen starre Quotierungen bei der Einstellung. Derart starre Quotierungen sieht auch das deutsche und europäische Recht sehr skeptisch. Das heißt: sie sind im deutschen und europäischen Diskriminierungsrecht, soweit es anwendbar ist, nicht zulässig. Insofern wendet sich also Donald Trump gegen etwas, bei dem man durchaus fragen kann: Ist das aus amerikanischer Sicht akzeptabel? Das Problem ist, was etwa der Verfügung gegen Perkins Coie zwischen den Zeilen zu entnehmen ist. Die Vermutung liegt nicht ganz fern, dass es sich in Wirklichkeit um eine politische Retourkutsche gegen einen vermeintlichen politischen Gegner handelt.
Man könnte also an der Frage ansetzen: Ist der völlige Ausschluss vom staatlichen Sektor eine passende, kausal zusammenhängende, richtige Reaktion? Und insofern kann man zwar möglicherweise sagen: Quoten sind nur akzeptabel, wenn sie bestimmten Einschränkungen unterliegen, etwa in Härtefällen gemildert werden, so wie das auch im europäischen Unionsrecht angenommen wird. Das muss in den USA das dortige Recht entscheiden. Die Verknüpfung mit der Sicherheitsfreigabe hat damit aber eigentlich nichts zu tun. Man greift also etwas auf, wo vielleicht ein Problem existiert, aber in einer Weise, die uns jedenfalls aus europäischer Perspektive untechnisch gesprochen Unbehagen bereitet.
Die DAJV fördert das gegenseitige Verständnis zwischen Europäern und Amerikanern unter anderem mit dem Austausch junger Juristinnen und Juristen. Was ändert sich infolge der aktuellen Situation?
Ich bin ganz zuversichtlich, dass das auf den transatlantischen Austausch von jungen Juristen keine große Auswirkung haben wird. Denn ich glaube nicht, dass die USA dadurch als Land insgesamt unattraktiv werden. Sie bleiben für Europäer ein Faszinosum. Ich sehe auch keine Anzeichen für eine restriktivere Zulassungspraxis gegenüber jungen Juristen, Studenten, Doktoranden oder LL.M.-Kandidaten aus Deutschland an amerikanischen Universitäten. Jedenfalls im Moment gibt es dafür noch keinen spürbaren Anhaltspunkt. Persönlich kann ich nur sagen: der transatlantische Austausch ist wichtiger als je zuvor. Wir haben uns über 70 Jahre darauf verlassen, dass es eine geistige, politische und ethische Verwandtschaft zwischen den USA und Westeuropa gibt. Leider müssen wir sehen: Sie ist heute brüchiger, als sie das früher war. Und umso mehr muss man versuchen, durch Austausch dafür zu sorgen, sie aufrecht zu erhalten. Und da, wo es geht, auch weiterzuentwickeln.
Erwarten Sie Veränderungen bei der Zulassungspraxis an amerikanischen Universitäten?
Ich glaube nicht, dass es zu formalen Änderungen kommt. Amerikanische Universitäten werden nicht mehr Europäer zulassen, weil sie eventuell von Quoten für Nicht-Europäer abrücken oder so etwas. Das wäre auch keine Perspektive, auf die man aufbauen möchte. Umgekehrt sehe ich auch nicht, dass die Hürden im Moment schwieriger werden. Dabei muss man natürlich die Trumpsche Einwanderungspolitik beobachten. Es ist seit jeher ein enormer bürokratischer Aufwand, ein Austauschvisum für die USA zu erhalten, der auch über die letzten Jahrzehnte zugenommen hat. Aber bisher ging es eigentlich im Ergebnis immer noch ganz gut nach meinem Eindruck. Und da habe ich die Hoffnung, dass das wenigstens auch so bleibt.
Ja, das ist zu hoffen! Was würden Sie jungen Juristen raten, die gerade darüber nachdenken, in die USA zu gehen?
Sie sollen sich nicht irritieren lassen. Das ist meine zentrale Empfehlung. Es gibt ja bekanntlich eine Weisheit, die auf jede Situation dieser Welt zutrifft: Auch das geht vorüber.