Im Wettbewerb um junge Talente ist die Associate-Ausbildung wichtig, ja sogar ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers. Längst fragen die jungen Anwälte und auch die Referendare beim Vorstellungsgespräch, was Kanzleien in puncto Aus- und Fortbildung zu bieten haben. Neben klassischen Themen wie fachlicher Fortbildung, Verhandlungsführung oder Zeitmanagement spielt auch das Legal-Tech- Angebot zunehmend eine Rolle. Da wundert es nicht, dass die meisten Kanzleien gerade auf diesem Feld ihr Repertoire deutlich erweitern. Der Nachwuchs nimmt dieses Angebot an. Denn Legal Tech und KI gehören in vielen Kanzleien bereits zum Arbeitsalltag, wenn auch in sehr unterschiedlicher Ausprägung. An den Universitäten und auch im Referendariat haben junge Juristen eher wenig Berührungspunkte mit digitalen Tools. Erst recht sind sie kein fester Bestandteil der juristischen Ausbildung.
Gekommen, um zu bleiben
Entsprechend sind die Kanzleien in diesem Punkt gefragt. Und zeigen größtenteils auch Engagement. Denn die Branche ist sich einig, dass KI die Arbeitsweise in den kommenden fünf Jahren grundlegend verändern wird. Und auch bei Mandanten hat das Thema mittlerweile hohe Priorität. Sie setzen voraus, dass Rechtsdienstleistungen auch mithilfe von Legal-Tech und KI-Tools erbracht werden, denn auch sie stehen unter hohem Innovations- und Kostendruck.
Bislang eignen sich KI-basierte Anwendungen und Legal-Tech-Tools vor allem dafür, viele Standardaufgaben aus dem juristischen Alltag zu übernehmen. Das sind häufig die, die in den Zuständigkeitsbereich von jungen Anwälten fallen. Solche Tools können zum Beispiel Dokumente inhaltlich erfassen, Zusammenfassungen erstellen und erste Entwürfe für Schriftsätze formulieren.
KI und Legal Tech sind Mainstream
Damit die teils teuer eingekauften Tools auch Verwendung finden, investieren Kanzleien in Schulungen, um ihren Nachwuchs für Tech und KI fit zu machen. Dass die Tech-Komponente mittlerweile zum Marktstandard in Sachen Ausbildung gehört, zeigt eine Auswertung der azur100-Top-Arbeitgeber-Recherche: Darin gaben rund 83 Prozent der Kanzleien an, dass sie ihre Associates in Legal Tech ausbilden. Das sind gut 15 Prozent mehr als 2020. Vor allem die großen Wirtschaftskanzleien haben das Thema in der Rechtsberatung schon länger für sich entdeckt und intern entsprechend in ihr bestehendes Ausbildungsprogramm integriert. Bei der internationalen Großkanzlei DLA Piper sind die Themen schon zu Beginn der Ausbildung gesetzt. Dass das sinnvoll ist, findet auch Yolanda Ristau (29), Associate bei DLA in München: „Wir als Associates sind diejenigen, die einen großen Teil des Mandats bearbeiten. Legal-Tech-Tools machen uns dabei das Leben sehr viel leichter. Deshalb ist es natürlich wichtig, von Anfang zu wissen, was möglich ist – und wie es geht.“ Ristau berät im Gesellschaftsrecht und bei M&A-Transaktionen.
Associates entscheiden selbst
Die Tech- und KI-Fäden hält bei DLA unter anderem Nina-Marie Luckhaupt (30), Legal Technology Manager & Local Lead bei DLA, zusammen. „Wir stellen allen Neuen von Anfang an die Tools vor, die wir im Einsatz haben. Die Idee ist, dass jeder die Tech- und KI-Tools kennt und schnell selbst anwenden kann“, sagt Luckhaupt. DLA setzt dabei auf einen Self-Service-Ansatz. „Die Associates überlegen in ihrer täglichen Arbeit, ob es sinnvoll ist, ein Tool einzusetzen. Sie fragen dann proaktiv bei mir oder dem jeweiligen Partner an. Wenn wir das Go geben, setzen sie es selbstständig in der Mandatsarbeit ein.“
Die deutsche Großkanzlei Hengeler Mueller veranstaltet ein monatliches Onboarding für die Nutzung von Tools. Darin werden Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger sowohl zur konkreten Verwendung von Legal Tech in der Mandatsarbeit als auch zur Nutzung des kanzleieigenen KI-Chatbots geschult. In der azur-Associate- Umfrage loben viele dieses Legal-Tech-Angebot: „Wir haben zahlreiche praxiserprobte Legal-Tech- Lösungen“, „die Automatisierung an geeigneten Stellen wird mehr und mehr zum Alltag und erleichtert Datei- und Projektmanagement enorm“.
Austausch ist Trumpf
Dieses Onboarding ist aber erst der Anfang. KI und Legal Tech bleiben auch während der weiteren Ausbildung ein ständiger Begleiter. Dabei steht vor allem der interne Erfahrungs- und Wissensaustausch – das sogenannte Peer-to-Peer-Learning – im Zentrum, oft in praxis- und standortübergreifende Arbeitsgruppen. Bei der internationalen Kanzlei Baker McKenzie etwa können sich Anwältinnen und Anwälte aller Senioritätsstufen in einer ‚AI Task Force‘ engagieren und intern zu fachlichen Ansprechpartnern mit Blick auf KI-Themen werden.
Auch Freshfields, die zu den Vorreitern bei der Entwicklung von Legal-Tech-Lösungen gehört, setzt auf interne Wissensvermittlung durch spezielle ‚Subject Matter Experts’. Sie informieren die Mitarbeitenden in einstündigen Expertenvorträgen über die kanzleiinterne KI-Strategie, verfügbare Tools und deren Einbindung in die Mandatsarbeit. Bei Norton Rose Fulbright können sich tech-affine Associates zu ‚Innovations-Champions‘ ausbilden lassen. In dieser Funktion sind sie unter anderem für die Einführung von KI-Anwendungen im eigenen Team verantwortlich.
KI als Karrierechance
Wer sich mit KI und Legal Tech auskennt und Verantwortung übernehmen will, kann schon früh eine tragende Rolle in Mandaten spielen. Dass tech-affine Juristinnen und Juristen mit KI-Kenntnissen bei vielen Kanzleien einen Stein im Brett haben, zeigt die azur-Recherche. Die britisch-australische Kanzlei Herbert Smith Freehills Kramer begrüßt bei Bewerbern ein „starkes Interesse an Innovationen und Legal Tech sowie erste Erfahrungen im Umgang mit AI-Tools“. Auch bei der deutschen Kanzlei Raue sind „Interesse und Bereitschaft mit Legal-Tech- und KI-Lösungen zu arbeiten“ gern gesehen. „Tech und KI sind aus der Arbeitswelt und der Ausbildung nicht mehr wegzudenken. Unser Legal Tech Board, das sich mit der Vermittlung von Wissen und der Entwicklung von Tools befasst, wurde auf Initiative eines First Year Associate ins Leben gerufen – wer sich engagiert, kann von Anfang an viel mitgestalten“, erklärt Dr. Martin Mengden (39), Counsel bei Raue im Bereich Prozessführung.
Wie viel man mit Eigeninitiative und dem cleveren Einsatz von Legal Tech erreichen kann, hat auch Yolanda Ristau von DLA erkannt. In einem großen Mandat hatte die Corporate-Associate mit der Erstellung und Integration von mehr als 100 Verträgen zu tun. „Ich dachte mir – dass muss doch einfacher gehen“, erzählt sie. In enger Zusammenarbeit mit dem Legal-Tech- Team kombinierte sie mehrere Tools miteinander – KI-unterstütze Vertragsdurchsicht, die interne Kollaborationsplattform, Dokumentenautomatisierungssoftware zur Erstellung der Verträge und eine digitale Unterzeichnungssoftware. „Das Ergebnis hat die Arbeit im Mandat enorm erleichtert – und die Fehleranfälligkeit war viel geringer“, sagt Ristau.
Der Prompt muss sitzen
Legal-Tech-Tools machen in der Regel das, was der Anwalt will. Vorausgesetzt, er hat verstanden, wie man sie richtig nutzt. Wer mit KI arbeiten will, muss ebenfalls lernen, sie richtig einzusetzen. Das heißt im ersten Schritt: prompten lernen. Das ‚Prompt Engineering‘, also die richtige Bedienung von Chatbots spielt eine zentrale Rolle im Umgang mit künstlicher Intelligenz. Denn damit Sprachmodelle wie ChatGPT verwertbare Ergebnisse liefern, müssen Nutzerinnen und Nutzer ihnen möglichst präzise Aufträge geben.
Viele Kanzleien legen einen besonderen Fokus auf den sicheren Umgang mit Chatbots und haben entsprechende Trainings zum ‚Legal Prompting‘ in ihr Curriculum aufgenommen. Nicht nur internationale Sozietäten wie Osborne Clarke oder die US-Kanzlei Greenberg Traurig trainieren ihren Nachwuchs in diesem Bereich, auch immer mehr deutsche Kanzleien veranstalten Prompting-Workshops. Bei Raue gibt es einen ‚ChatGPT-Führerschein‘, der auch das Prompting einschließt. „Der Führerschein ist sozusagen die Basis, um KI sinnvoll und sicher einsetzen zu können“, erklärt Dr. Tim Engel (36), Associate bei Raue. Wer die Grundlagen beherrscht und Datenschutz und Mandatsgeheimnis im Blick hat, kann mit dem Prompting beginnen. „Wir lernen, wie man Prompts schreibt, sie optimiert. Ist ein guter Prompt gefunden, speichern wir ihn ab, damit auch andere Kollegen und Kolleginnen in Zukunft davon profitieren“, erläutert Engel.
Auch wenn man gelernt hat, dem Chatbot präzise Anweisungen zu erteilen, ist dennoch Vorsicht geboten. Mitunter kann es nämlich vorkommen, dass die Ergebnisse, die er präsentiert, schlicht falsch sind. Experten sprechen von Halluzination. Umso wichtiger ist es also, dass Anwältinnen und Anwälte die Qualität der gelieferten Ergebnisse sorgfältig prüfen. Denn ganz ohne Juristen, so viel ist ja auch längst klar, geht es bei aller Technik dann doch nicht.