EU-Patent. Zunächst schien es, dass das EU-Patent und ein gemeinsames europäisches Patentgericht wie geplant 2014 starten können. Ende Juni hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel zunächst den Hauptsitz des neuen europäischen Patentgerichts nach Paris vergeben. Nur vier Tage später sagte das EU-Parlament jedoch eine entscheidende Abstimmung zum EU-Patent ab.
Am Ende ihrer Brüsseler Verhandlung am 28. und 29. Juni schnürten die Staats- und Regierungschefs einen europäischem Kompromiss zum zentralen europäischen Patentgericht, der vielen deutschen Patentexperten so gar nicht schmeckte. Demnach wird das Gericht neben dem Hauptsitz in Paris auch zwei Außenstellen haben: in London für Biotechnologie- und Pharma-Patente sowie in München für die Verwaltung und ingenieurtechnische Patente.
Bereits im Vorfeld des Gipfels hatten Deutschland, England und Frankreich heftig um einen Kompromiss gerungen. Die Bundesregierung und deutsche Patentexperten hatten sich für München stark gemacht – dort sitzen auch das Europäische und das Deutsche Patentamt. „Die schlechteste aller Lösungen“, kritisierte ein Patentanwalt die Aufteilung auf drei Standorte. Ein Patentprozessrechtler erklärte: „Paris bietet kein qualifiziertes Umfeld für ein Patentgericht.“
Das neue europäische Patentgericht sieht ein System aus einer Eingangsinstanz pro Land und einer Zentralkammer vor. Aufgrund des sehr hohen Prozessaufkommens vor deutschen Patentgerichten sollte die Bundesrepublik jedoch mindestens drei Eingangsinstanzen erhalten.
Für zusätzliche Aufregung hatte im Vorfeld des Gipfels ein Vorschlag der polnischen Regierung gesorgt: Demnach sollten Klagen gegen Produkte, die in mindestens drei Ländern vertrieben werden, vom Beklagten direkt an das Zentralgericht in Paris verwiesen werden. Dieser Vorschlag wurde nun offenbar entschärft, dem Vernehmen nach auf Druck der deutschen Delegation als Gegenleistung für die Vergabe des Gerichtssitzes nach Paris. Einen Fall können nunmehr nur noch Parteien an das Zentralgericht verweisen, wenn sie ihren Sitz außerhalb der EU haben. Diese Regelung lasse sich jedoch umgehen, weiß Patentexperte Axel Verhauwen von Krieger Mes Graf v. der Groeben: „Allein aus Gründen der schnelle Klagezustellung verklagen wir heute in der Regel nicht die ausländische Konzernmutter, sondern eine europäische Tochtergesellschaft.“ Die Regierungschefs beschlossen zudem, dass das Zentralgericht Klagen direkt verhandeln kann, wenn bereits eine Nichtigkeitsklage gegen das streitbare Patent anhängig ist. Für alle übrigen Klagen gilt der fliegende Gerichtsstand.
Auch diese entschärfte Regelung könnte die starken deutschen Patentprozesskanzleien vor Herausforderungen stellen, befürchten Patentexperten hierzulande. Ein Teil der Klagen in Deutschland droht weiterhin nach Paris abzuwandern. Vor allem wichtige Prozessserien von asiatischen und US-Unternehmen könnten betroffen sein.
Bis die neuen Regelungen allerdings greifen, wird noch einige Zeit verstreichen. Zunächst gilt es, ein einheitliches EU-Patent zu installieren. 25 EU-Staaten wollen das Patent bis 2014 auf dem Wege der verstärkten Zusammenarbeit einführen. Danach würden die ersten EU-Patente angemeldet und gegebenenfalls erst mehrere Jahre später vor dem neuen Gericht landen.
Für erheblichen Wirbel sorgte ein weiterer Beschluss der Staats- und Regierungschefs, wonach die Artikel 6 bis 8 aus der Einheitspatent-Verordnung gestrichen werden sollen. Diese betreffen materielles Patentrecht, vor allem die Rechte und Pflichten von Patentinhabern. Am 3. Juli vertagte daraufhin das EU-Parlament die Verabschiedung der Verordnung. Der Gesetzestext würde mit der Streichung der drei Artikel seiner Substanz beraubt, so die Berichterstatter des Parlaments Bernhard Rapkay und Klaus-Heiner Lehne erzürnt.
Die streitigen drei Artikel sind einerseits notwendig, um materielles Recht in der Verordnung zu verankern und somit eine Legitimation für die EU-weite Wirkung zu erreichen. Vor allem EU-Parlamentarier hatten für ihre Aufnahme gekämpft, um das Patent unangreifbar gegen Klagen zu machen. Spanien und Italien haben bereits gegen die Einführung des Patents geklagt. Andererseits öffnen die drei Artikel eine ungewollte Hintertür für die Beteiligung des Europäischen Gerichtshofs am neuen Gerichtssystem. Vor allem britische Patentexperten fürchten eine erhebliche Verzögerung von Patentprozessen, sollten die technisch kaum bewanderten höchsten EU-Richter am neuen Gerichtssystem beteiligt sein. Dem Vernehmen nach wurden die Artikel auf Druck von Großbritannien aus dem Vertragswerk entfernt. Eigentlich war die Einheitspatent-Verordnung bereits durchverhandelt. Nun müssen EU-Kommission und Parlament erneut nachbessern. Ein Beobachter vermutet, dass auch der Beschluss zum Patentgericht erneut auf die Tagesordnung gehoben werden könnte.