Im vergangenen Jahr reichte eine Rekordzahl von Fluggästen bei Gericht Klage gegen Fluggesellschaften ein. Nach Angaben des Deutschen Richterbundes waren es rund 131.000 − und damit etwa 6.000 mehr als im Vorjahr. Als eine der Top 5 Fluggesellschaften weltweit ist auch die Lufthansa mit einer Vielzahl an Passagierklagen konfrontiert.
Um dieser Herr zu werden, hat das Unternehmen eines seiner größten Projekte innerhalb der Rechtsabteilung angestoßen, berichtet Russell Green, Principal IT Consultant bei der Lufthansa Industry Solutions und einer der Leiter des Projekts. „2023 haben wir das Projekt ‚Paladin‘ aufgesetzt. Ziel war es, die Bearbeitung von Passagierklagen zu digitalisieren und Teile der Prozesse zu automatisieren. Dafür wollten wir eine Plattform schaffen, auf der alle klagerelevanten Daten zur Verfügung stehen, und diese mit einem KI-gestützten Case-Management-Tool kombinieren“, so Green.
Mehr Effizienz, weniger Kosten
„Die erste Hürde war die Freigabe des Projekts von Konzernseite – so ein großangelegtes Projekt muss man überzeugend präsentieren“, sagt Green. Die Argumente dafür hätten jedoch auf der Hand gelegen. Eine digitale Bearbeitung bringe mehr Effizienz und kann dadurch hohe Kosten einsparen, so Green. Bisher bearbeitete die Rechtsabteilung der Lufthansa die Passagierklagen vor allem manuell. „Es ist kaum vorstellbar“, berichtet Green, „aber täglich trafen Faxe und Kisten voller gelber Briefe ein, die von Hand geöffnet und abgelegt werden mussten. Das war ungemein zeitaufwändig. Auch mit Blick auf die steigenden Klagezahlen musste sich etwas ändern.“
Daten – aber bitte digital!
Ein Großteil des Projektes bestand darin, die Datenplattform aufzusetzen. Datenquellen innerhalb der Lufthansa und ihrer Tochtergesellschaften mussten identifiziert, gesammelt und strukturiert werden. „Wir mussten einmal alles auf links drehen“, so Green.
Zeitgleich machte sich die Lufthansa auf die Suche nach einem geeigneten Case-Management-Tool-Anbieter. Im Pitch setzte sich das 2020 gegründete Legal-Tech-Start-up June durch. „Unsere KI-gestützte Case Management & Automation Plattform hat perfekt zu den Anforderungen von Lufthansa gepasst“, erklärt June-Mitbegründer und CEO Björn Frommer. „Schon im Pitch mussten wir zeigen, was June kann – wie wir eingehende Dokumente auslesen und extrahieren können und wie KI die tägliche Fallbearbeitung massiv bereichern kann“, so Frommer. Nachdem die Entscheidung gefallen war, implementierte June seine Plattform bei der Fluggesellschaft und deren Kanzleien. June digitalisiert alle Arbeitsabläufe im Zusammenhang mit Klagen und konsolidiert alle Daten in einer zentralen, einheitlichen Quelle, einer sogenannten ‚Single Source of Truth‘. „Dieser datenbasierte Ansatz sorgt für Transparenz bei allen Beteiligten“, sagt Frommer. Die Rechtsabteilung der Lufthansa kann den gesamten Prozess – von der Einreichung der Klage bis zu deren Abschluss – auf einer einzigen, zentralen Plattform abbilden und bearbeiten, unterstützt durch KI.
Damit arbeiten sowohl die Lufthansa-Rechtsabteilung als auch die Kanzleien künftig in Sachen Fluggastklagen ausschließlich auf der Plattform. „Allein der Umstand, dass wir nur noch ein Tool brauchen, steigert die Produktivität enorm. Jeder weiß, was er zu tun hat, die Abläufe sind klar und die fallbezogenen Daten für die juristischen Nutzer zugänglich und zentral verfügbar“, erklärt Green.
Schriftsätze auf Knopfdruck
June erkennt automatisch eingehende Dokumente wie Briefe und E-Mails, extrahiert relevante Inhalte wie Fristen, Termine, Beteiligte und wichtige Falldaten und analysiert diese mithilfe von KI detailliert. Das wiederum ebnet den Weg für Erfolgsanalysen und vereinfacht die Suchfunktionen. „June unterstützt bei der effizienten Steuerung der Aufgaben zwischen den Teams, kann bei der Erstellung von Schriftsätzen unterstützen und vor allem auf Knopfdruck den aktuellen Stand der Verfahren in Real Time berichten“, erklärt Frommer. Eine BeA-Schnittstelle reduziert die Flut an gelben Umschlägen, indem sie den Schriftverkehr ins Digitale verlegt. Ein weiterer Clue: Das Projekt sei so aufgesetzt, dass ein Roll-out bei Tochterunternehmen oder für Klagefälle in anderen Ländern ohne großen zusätzlichen Aufwand erfolgen könne, erklärt Sebastian Thies, Projektleiter der Implementierung bei Lufthansa.
Die größte Hürde des Projekts war, wie so oft, nicht (nur) die Technik, sondern der Faktor Mensch. „Alle Beteiligten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenzubringen, von den IT-Dienstleistern über Inhouse-Juristen und Datenkoordinatoren bis hin zu June und den Kanzleien − das war eine der größten Herausforderungen!“, so Green.
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