Strengere Regeln im Internet

Warum Zalando keine „besonders große Onlineplattform“ sein will

Hass und Hetze im Internet sollen leichter verfolgt und bestenfalls verhindert werden können. Das ist der Hintergrund des neu eingeführten Digital Services Act der EU, mit dem sie große Internetplayer stärker kontrollieren will. Doch es gibt Streit darüber, wer neben Facebook & Co. eigentlich eine „besonders große Onlineplattform“ sein soll. Onlinehändler Zalando wehrt sich gegen die Einordnung.

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Große Onlineplattformen mit der Bezeichnung VLOP (Very Large Online Platform) mit mehr als 45 Millionen Nutzern pro Monat gelten als ‚systemrelevant‘ für die Gesellschaft. Insgesamt 17 Plattformen wurden von der EU als VLOP eingestuft, darunter Google, Wikipedia, TikTok, Facebook, Booking.com, Amazon und Zalando. Sie müssen Risiken identifizieren und bewerten, die mit ihren Dienstleistungen verbunden sind. Die Liste der Pflichten ist lang und kommt mit erheblichem Aufwand für die Unternehmen daher, beispielsweise müssen VLOPs Straftaten melden, die Transparenz bei Werbung erhöhen, Grundrechte wie Meinungsfreiheit schützen, Diskriminierung verhindern. Interne Compliance-Regeln sollen die Risiken mindern.

Amazon und Zalando als Onlinehändler haben inzwischen bei der EU-Kommission Klage gegen den Digital Service Act (DSA) und die Einstufung als VLOP eingelegt. Öffentlich bekannt ist, dass Amazon auf ein Team um Dr. Albrecht Conrad von Hengeler Mueller vertraut. Für Zalandos Klage in Brüssel ist Osborne Clarke mit einem Team um Konstatin Ewald mandatiert.

Lena Wallenhorst

Im JUVE-Interview spricht Dr. Lena Wallenhorst, General Counsel und Senior Vice President Corporate Governance und Corporate Secretary bei Zalando, über die To-dos der Rechtsabteilung.

JUVE: Wie hat sich die Rechtsabteilung von Zalando auf die EU-Verordnung über digitale Dienste vorbereitet?
Dr. Lena Wallenhorst: Als eines der großen Regulierungsvorhaben der EU-Kommission im Bereich digitaler Dienste war der DSA von Anfang an auf unserem Radar. Mein Legal-Team hat zusammen mit unserem Public-Affairs-Team den gesamten Gesetzgebungsprozess aktiv verfolgt und begleitet. Anfang 2022 haben wir ein unternehmensweites Projekt zur Implementierung der Anforderungen aufgesetzt, um vorbereitet zu sein, falls Zalando von der EU-Kommission als “Very Large Online Platform” (VLOP) designiert werden sollte. Mein Legal-Team war sowohl für die rechtliche Beratung als auch für die operative Umsetzung der Anforderungen aus dem DSA verantwortlich. Wir haben innerhalb des Legal-Teams ein Projektteam aus Expertinnen und Experten zusammengestellt, das die interne Rechtsberatung zu den einzelnen Anforderungen des DSA verantwortet hat. Daneben haben wir die Projektleitung der operativen Umsetzung übernommen. Insgesamt waren über 60 Zalando-Teams in das Projekt involviert, die wir in der Umsetzung beraten und begleitet haben – insbesondere im technischen Bereich. Wir haben das Projekt weitgehend intern gestemmt, die interne rechtliche Beratung wurde durch die Kanzlei Osborne Clarke extern unterstützt, welche uns auch im Klageverfahren vertritt.

Wird Ihre Klage gegen die Einstufung als VLOP eine grundsätzliche Entscheidung bezüglich der Zählweise von Nutzerzahlen herbeiführen?
Wir sehen im DSA einen deutlichen Mehrwert für europäische Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für den digitalen Binnenmarkt. Wir stellen den DSA mit der Klage nicht grundsätzlich in Frage. Wir sehen jedoch die Entscheidung der EU-Kommission, Zalando als “Very Large Online Platform” zu designieren, als unzutreffend an. Bei der Entscheidung wurde das Geschäftsmodell von Zalando nicht hinreichend gewürdigt. Zum einen handelt es sich bei unserem Angebot überwiegend um ein Einzelhandelsgeschäft. Produktangebote von dritten Verkäufern beschränken sich bei Zalando auf ein stark kuratiertes Sortiment von sorgfältig ausgewählten Partnern. Damit stellt unser Angebot auch in Bezug auf Angebote dritter Verkäufer aus unserer Sicht keine Onlineplattform im Sinne des DSA dar. Außerdem ist die Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer, welche Produkte von dritten Verkäufern im Sinne des DSA ausgesetzt sind, signifikant unter dem Schwellenwert, der für die Benennung als VLOP entscheidend ist. Produktangebote von dritten Verkäufern beschränken sich bei Zalando auf ein stark kuratiertes Sortiment. Damit stellt unser Angebot auch in dieser Hinsicht aus unserer Sicht keine Onlineplattform im Sinne des DSA dar. Zudem sind die Nutzerzahlen in diesem Segment signifikant unter dem Schwellenwert, der für die Benennung als VLOP entscheidend ist.

Unabhängig davon, dass aus unserer Sicht Zalando keine Onlineplattform im Sinne des DSA unterhält, wird unsere Klage die berechtigte Debatte um die Zählweise von aktiven Nutzerinnen und Nutzern unterstützen. Hier stellen sich die betroffenen Plattformen noch viele Fragen, die bisher nicht geklärt wurden. Ohne eine einheitliche Klärung der Methodik zur Zählung von Nutzerzahlen werden diese weiterhin von den Onlineplattformen völlig unterschiedlich erhoben werden; dies kann nicht im Sinne des DSA sein, der zu einer einheitlichen Plattformregulierung beitragen möchte.  

Sind die Nutzerzahlen Ihrer Ansicht nach denn grundsätzlich ein geeignetes Instrument für die Digitalregulierung von Onlineplattformen?
Ausschlaggebend sollte das tatsächliche Risiko sein, das durch die jeweilige Onlineplattform oder ihre Funktionsweise geschaffen wird. Die Nutzerzahlen können dabei ein Kriterium sein, um die Ausstrahlung von Risiken zu erfassen, sollten aber nicht alleine ausschlaggebend sein. Denn die Anzahl betroffener Nutzerinnen und Nutzer ist eben nur dann relevant oder potenziell risikoreich, wenn diese überhaupt einem relevanten Risiko ausgesetzt sind, das durch die Plattform oder ihre Funktionsweise geschaffen wird.

Zalando beispielsweise soll nach der Entscheidung der EU-Kommission als “Very Large Online Platform” den gleichen Verpflichtungen unterliegen wie VLOPs im Bereich der Sozialen Medien. Zwischen beiden Geschäftsmodellen bestehen allerdings signifikante Unterschiede: Das im Zalando-Onlineshop angebotene Sortiment wird zu einem überwiegenden Teil von Zalando selbst angeboten und im Übrigen stark kuratiert. Außerdem ermöglicht die Funktionsweise unseres Onlineshops keine unmittelbare Interaktion zwischen Nutzerinnen und Nutzern. Beiträge auf sozialen Medien werden hingegen teilweise ungefiltert und in Echtzeit von Nutzerinnen und Nutzern selbst hochgeladen. Das zeigt, dass es bei der Auswahl der relevanten Kriterien für stärkere Digitalregulierung noch deutlichen Nachbesserungsbedarf gibt. Aktuell ist die VLOP-Kategorie noch unausgereift, da sie nicht abschließend definiert ist. Dennoch beobachten wir, dass diese bereits in andere legislative Vorhaben aufgenommen wird, in die sie konzeptionell nicht hineinpasst.

Für sogenannte VLOP wird es künftig vermehrt strengere Regeln und empfindlichere Strafen geben. Welche Herausforderungen bringen weitere Vorhaben der EU-Digitalregulierung für Ihre Rechtsabteilung?
Wir beobachten einen kontinuierlichen Anstieg an aufkommenden Gesetzesinitiativen auf EU- sowie auf nationaler Ebene. Wir operieren in 25 Märkten mit dem Anspruch, das höchste Maß an Vertrauen für unsere Kundinnen und Kunden zu schaffen. Daher prüfen wir grundsätzlich alle neuen rechtlichen Anforderungen sorgfältig und bewerten ihre Anwendbarkeit und Implikationen auf Zalando. Hierzu gehört auch die Einschätzung, wie viele Ressourcen erforderlich sind, um diese Anforderungen umzusetzen. Wir sind der Meinung, dass jede Ressource, die dabei aufgewendet wird, um neue und relevante Risiken zu reduzieren, eine gute Investition ist. Handelt es sich allerdings um nicht-harmonisierte Regulierungen oder solche, die nicht passgenau nur diejenigen Akteure trifft, von denen tatsächlich relevante Risiken im digitalen Sektor ausgehen, gehen dem Unternehmen Ressourcen verloren, die wichtig sind, um im digitalen Bereich wettbewerbsfähig zu bleiben und wichtige Innovationen voranzubringen. Zusätzlich beobachten wir, dass neue Regelungen zunehmend komplexer und die Zeitfenster für die Umsetzung immer kleiner werden.

Neben Zalando wehrt sich auch Amazon gegen den DSA. Welche Auswirkungen können die beiden Klagen auf weitere EU-Gesetze wie AI- oder Data-Act haben?
Die Klage von Amazon können wir nicht kommentieren. Wir erhoffen uns von unserer Klage, dass die EU-Kommission bei weiteren Gesetzgebungsvorhaben und deren Umsetzungen einen Ansatz wählt, der die tatsächlich bestehenden Risiken adressiert und passgenau dort ansetzt, wo Regelungslücken bestehen. Aktuell scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein: Die Einordnung als VLOP unter dem DSA wird beispielsweise bereits in vielen weiteren Gesetzesvorhaben als Anwendungskriterium diskutiert, wo sie einfach nicht passend ist. Qualitative Kriterien sind auch hier nötig, um differenzierte Regulierung dort zu schaffen, wo sie sinnvoll und tatsächlich notwendig ist.

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