JUVE: Wie ist die Idee zu der Zusammenarbeit mit Xayn entstanden?
Markus Kaulartz: Wir hatten zuerst überlegt, ob wir selbst ein Sprachmodell entwickeln. Aber sogar mit einer so großen Legal-Tech-Abteilung, wie wir sie haben, war das schwierig. Also haben wir verschiedene Unternehmen angesprochen, ob sie das Projekt gemeinsam mit uns realisieren wollen, unter anderem unsere ehemalige Mandantin Xayn. Und die war direkt an Bord.
Sprachmodelle gibt es bereits viele, auch solche, die speziell mit juristischen Daten trainiert wurden. Wieso haben Sie noch ein weiteres entwickelt?
Bei der Nutzung bestehender Systeme wie Harvey und Co, deren Server in Drittländern stehen, gibt es einen entscheidenden Knackpunkt: §43e BRAO regelt das Outsourcen nichtanwaltlicher Dienstleistungen. Wer solche Tätigkeiten auslagert, muss mit dem Dienstleister einen entsprechenden Vertrag abschließen und Daten dürfen nicht ohne Weiteres ins Ausland verlagert werden. Dadurch, dass Noxtua auf Servern in Deutschland bzw. der Europäischen Union gehostet wird und alle notwendigen Erklärungen zum Berufsgeheimnisschutz abgegeben worden sind, lösen wir dieses Problem. Somit bildet Noxtua eine eigenständige und sichere Alternative aus Europa zu den bisherigen US-amerikanischen Angeboten.
Und wie sieht es mit der Performance aus? Harvey zum Beispiel basiert auf GPT-4, das derzeit als das leistungsfähigste Sprachmodell gilt. Was kann Noxtua dem entgegensetzen?
GPT wurde mit vielen unterschiedlichen Daten aus dem Internet trainiert. Deshalb ist es sehr breit aufgestellt und kann auch Dinge, die im juristischen Kontext nicht gefragt sind, wie zum Beispiel Gedichte schreiben. Der Fokus von Noxtua hingegen ist viel enger, es ist ausschließlich auf rechtsspezifische Anwendungsfälle ausgerichtet. Entsprechend ist es darin besser als andere Modelle.
Wie genau haben Sie das Modell trainiert?
Wichtig ist, dass wir dabei keine Mandantendaten verwendet haben. Stattdessen haben wir etwa verschiedene Klauseltypen erstellt und in die KI einfließen lassen, die sie dann augmentiert, also vervielfältigt hat. Das Ergebnis haben unsere Anwälte stichprobenartig überprüft und anschließend wurde die KI damit trainiert. Zudem haben wir verschiedene Verträge verwendet. Zum Teil waren das CMS-interne Muster, aber auch Verträge, die wir zu Trainingszwecken erstellt haben.
Und was sind die Use Cases?
Noxtua ist als Chat aufgebaut, über den Benutzer beispielsweise Fragen an rechtliche Dokumente stellen können. Zudem können sie damit Dokumente analysieren oder auf die Übereinstimmung mit Unternehmensrichtlinien hin prüfen, Texte (um-)formulieren und Zusammenfassungen schreiben lassen. Das ist insbesondere für Unternehmen interessant. Denn in vielen Fällen geben Bereiche wie der Einkauf Verträge gar nicht mehr in die Rechtsabteilung, sondern prüfen sie selbst. Da kann unser Modell gut unterstützen.
Abgesehen von Rechtsabteilungen: An welche Zielgruppe richtet sich die KI?
Ganz klar Kanzleien, auch kleinere, die nicht dieselben Forschungsressourcen haben wie die großen, internationalen Einheiten. Zumal Noxtua derzeit nur auf deutsches Recht ausgerichtet ist. Für einen grenzüberschreitenden Einsatz müsste man das System länderspezifisch trainieren und die Daten dann miteinander verknüpfen. Xayn baut gerade eine ‘Legal AI Alliance‘ auf. Ziel ist, dass andere Kanzleien ebenfalls Daten, Ressourcen und letztlich auch Geld bereitstellen, damit das Tool schnell weiterentwickelt werden kann.
Besteht nicht auch die Gefahr, dass CMS-spezifisches Wissen bei Wettbewerbern landet, wenn andere Kanzleien die KI nutzen?
Das Thema haben wir lange diskutiert und schlussendlich so gelöst, dass wir nur bestimmte Daten in das Modell einfließen lassen. Sehr CMS-spezifisches Wissen teilen wir dagegen nicht, sodass der Know-how-Abfluss überschaubar bleibt.
Das heißt, Sie glauben trotz aller Risiken an den Erfolg des Modells?
Natürlich ist eine Investition in so ein System auch immer mit einem Risiko verbunden. Xayn ist ein klassisches Start-up, das Geld von Investoren einsammelt. Allerdings ist dies zum einen überschaubar und zum anderen sind die Chancen für den Erfolg groß: Das Produkt ist attraktiv und der Bedarf auf dem Markt nach KI-Lösungen, die juristisch kompetent und compliant sind, ist sehr hoch. Die vielen positiven Reaktionen auf Noxtua haben gezeigt, dass wir hiermit einen Nerv getroffen haben.