Baden-Württemberg will sich nach dem Brexit als wichtiger Gerichtsstandort für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten in Stellung bringen. Von November an wird der Südwesten einen sogenannten Commercial Court für zivile Wirtschaftsverfahren anbieten. Ähnliche Angebote gibt es bereits in Frankfurt, Paris, Amsterdam und Singapur.
Wenn es nach der Landesregierung geht, soll Baden-Württemberg ein Profiteur des Brexits werden, als neue internationale Justiz-Drehscheibe für Wirtschaftsstreitigkeiten. Im Rennen um Londons Nachfolge will der Südwesten einen neuen Gerichtshof über zwei Gerichtsstandorte etablieren: An den Landgerichten Stuttgart und Mannheim wird jeweils eine Wirtschaftszivilkammer und eine Kammer für Handelssachen mit spezieller Zuständigkeit eingerichtet. Die Fälle sollen unter anderem mit Videoübertragungen und in englischer Sprache attraktiver für internationale Unternehmen werden. Der Commercial Court Stuttgart wird in ein Gebäude in der Nähe des Flughafens ziehen. Das Landgericht Mannheim ist prädestiniert, weil dort zahlreiche wichtige Patentstreitigkeiten ausgetragen werden.
„Wir wollen die Justiz attraktiver machen, sichtbarer und wettbewerbsfähiger“, sagte Justizminister Guido Wolf in Stuttgart. Fälle in diesem Bereich seien zuletzt immer seltener vor staatlichen Zivilgerichten verhandelt worden, sondern vor einem privaten Schiedsgericht oder im Ausland. „Es ist unser Ziel, dieses Feld zurückzuerobern“, sagte Wolf.
Wettbewerb um internationale Großverfahren
Hierzulande hat beispielsweise das Landgericht in Frankfurt schon eine englischsprachige Kammer für internationale Handelssachen eingerichtet. In Amsterdam hat Anfang 2019 der Niederländische Commercial Court (NCC) seine Arbeit aufgenommen. Auch dort werden die Verfahren auf Englisch geführt, Dokumente können aber auf niederländisch, französisch oder deutsch eingereicht werden. Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf plant einen Commercial Court für Handelsstreitigkeiten mit hohem Streitwert.
In Nordrhein-Westfalen wurde vergangenen Sommer bekannt gegeben, dass mit der Einrichtung eines sogenannten Commercial Court am Oberlandesgericht Düsseldorf die Möglichkeit geschaffen werden solle, Handelsstreitigkeiten mit sehr hohen Streitwerten erstinstanzlich direkt bei spezialisierten Senaten des Oberlandesgerichts in englischer Sprache zu verhandeln. Zudem gäbe es dort Überlegungen, das System der Kammern für Handelssachen so zu flexibilisieren, dass bei schwierigen Fällen auch gleich in der ersten Instanz drei Berufsrichter hinzugezogen werden könnten.
Um die Akzeptanz der deutschen Zivilverfahren zu erhöhen, fordern Unternehmensvertreter und Wirtschaftsanwälte schon länger wirtschaftlich spezialisierte Kammern und zusätzliche Anstrengungen wie etwa Wortlautprotokolle und zeitlich straff strukturierte Online-Zeugenvernehmungen. Beides ist in internationalen Schiedsverfahren schon länger üblich. (Sonja Behrens; mit Material von dpa)