Das hat auch gereicht, denn die Aufgabenverteilung war viele Jahre vergleichsweise simpel: Der Strafverteidiger verteidigt die bösen Buben unter Mitarbeitern und Management gegenüber der Staatsgewalt; die Zivilisten sehen zu, dass etwaige zivilrechtliche Ansprüche bereinigt werden und unliebsame Mitarbeiter keinen Ärger machen. Lange vorbei. Staatsanwälte haben mit der Wiederentdeckung des Organisationsverschuldens dafür gesorgt, dass die traditionelle Rollenverteilung nicht mehr funktioniert. Denn auch Unternehmen brauchen Verteidiger, und diese Rolle ist zu interessant, als dass Zivilkanzleien sie kampflos spezialisierten Boutiquen überlassen wollen. Das alte Ehemodell hat also ausgedient, das neue bietet eine Vielzahl von Varianten – ganz wie im echten Leben.
Zunehmend mischen zivilrechtlich geprägte Akteure in großen Ermittlungskomplexen mit, weil das ehedem verpönte Strafrecht längst sein Schmuddelkind-Image verloren hat. Das bringt einen Kulturwandel: Aus Verteidigung wird Verhandlung, aus prozesstaktischer Raffinesse Dealmentalität. Straf- und Zivilrechtsanwälte mutieren zu Ermittlern, Staatsanwälte zu Dompteuren heißlaufender Anwaltsteams. Das geplante Unternehmenssanktionenrecht wird die Rollenverteilung voraussichtlich noch komplexer machen.
Es stünde der Anwaltschaft gut an, für sich klare Rollen im komplexen Wirtschaftsstrafrecht zu definieren. Damit ließen sich Desaster wie die Jones Day-Durchsuchung ebenso vermeiden wie Hakeleien in Mandaten, für die letztlich der Mandant bezahlt. Und vielleicht bestünde sogar die Chance, dass das Strafrecht mit seinen Beschuldigtenrechten wieder ein wenig als das wahrgenommen wird, was es mal war: ein Eckpfeiler des Rechtsstaates.
Warum das Wirtschaftsstrafrecht derzeit so einen Boom erfährt, lesen Sie im JUVE Rechtsmarkt 06/2019.