Die Rede von der Unabhängigkeit der Anwältinnen und Anwälte prägt in Deutschland die heiß geführte Debatte um das Fremdbesitzverbot im Rechts- und Steuermarkt. Die Wahrung der Unabhängigkeit ist das inflationär gebrauchte Hauptargument der Status-quo-Verfechter. Sie sehen die Unabhängigkeit ihrer freiberuflichen Arbeit gefährdet, wenn ein fachfremder Investor sich an ihrer Anwaltsgesellschaft beteiligt. Banken, die Kanzleien finanzieren, halten sie für ungefährlich in dieser Hinsicht.
Damit verkommt Unabhängigkeit, dieser für die Anwaltschaft im Rechtsstaat so zentrale Begriff, zur Worthülse. Dem Wert dieser rechtsstaatlichen Errungenschaft wird eine derartige Verwendung nicht gerecht. Weder Investitionen mit Eigenkapital noch Bankkredite gefährden die Anwaltschaft derart, dass sie ihre Mandanten nicht mehr frei von Interessenkonflikten beraten und vertreten könnte.
Die eigentliche Gefahr für die Unabhängigkeit der Anwaltschaft geht vielmehr vom Staat aus. Das war den Erfindern dieser Regel vor mehr als hundert Jahren klar. Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft vom Staat ist das, worauf es ankommt im Rechtsstaat. Einfache Interessenkonflikte auf diese Ebene zu heben, wird der fundamentalen Bedeutung dieser Einsicht nicht gerecht.
Wie kostbar und bedroht diese Unabhängigkeit vom Staat ist, sehen wir aktuell in den USA. Der US-Präsident nutzt seine Machtfülle, um Justiz und Kanzleien einzuschüchtern und sie für die eigene Politik zu instrumentalisieren. Der Rechtsstaat ist so existenziell bedroht, wie es vor ein paar Monaten noch kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Diese traurige Erkenntnis sollte auch die Perspektive auf die deutsche berufsrechtliche Debatte etwas zurechtrücken: Ja, man kann und soll über das Fremdbesitzverbot in der Rechts- und Steuerberatung und seine konkrete Ausgestaltung streiten. Aber so zu tun, als wäre jede Öffnung des Marktes für Investoren ein Schritt hin zum Untergang des Rechtsstaats, wirkt wie Hohn, wenn man über den Atlantik blickt.