Masseklagen bleiben beliebt
Verbraucher setzen bei der Geltendmachung von (Streu)Schäden weiterhin auf ein individuelles Vorgehen. Das VDuG eröffnet zwar neue Möglichkeiten. Doch strukturelle Hürden, insbesondere aber eine Anwaltsindustrie, die in der Akquise rechtsschutzversicherter Verbraucher geübt ist, begrenzen den Anwendungsbereich der Abhilfeklage (noch) spürbar. Auf absehbare Zeit dürfte die Zahl der Abhilfeklagen jedoch zunehmen. Allein in Deutschland gibt es über 50 klageberechtigte qualifizierte Einrichtungen. Europaweit sind bereits 67 Einrichtungen zur grenzüberschreitenden Klageführung befugt. Kooperationen mit spezialisierten Kanzleinetzwerken und Legal-Tech-Plattformen sowie liberalere Finanzierungsbedingungen in anderen Mitgliedstaaten werden das Prozessumfeld nachhaltig verändern. Dies verdeutlicht, welche Haftungsrisiken Unternehmen künftig drohen könnten.
Mehrfachverfolgung – Ein altes Übel kehrt zurück
Große Schwierigkeiten bereitet weiterhin die Koordination parallel laufender Verfahren. Nicht nur kann derselbe Verstoß in Deutschland in drei verschiedenen Gerichtsverfahren zeitgleich von qualifizierten Einrichtungen vor unterschiedlichen Gerichten verfolgt werden (VDuG, UKlaG, UWG). Insbesondere im Bereich des unmittelbar anwendbaren europäischen Rechts (DSGVO, DSA, DMA) zeichnet sich ein deutlicher Anstieg von Mehrfachverfolgungen ab und rückt das ohnehin kritische Spannungsfeld von Private Enforcement in den europäischen Jurisdiktionen einerseits und Public Enforcement durch die Behörden andererseits in den Blick. Die europaweite Klagebefugnis der qualifizierten Einrichtungen und ihre zunehmende Professionalisierung und Internationalisierung erhöhen die operationellen Risiken für die Unternehmen durch eine im europäischen Kontext deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit widersprüchlicher Entscheidungen. Es wird sich zeigen müssen, ob die wenigen gesetzlichen Möglichkeiten einer effizienten Koordinierung parallel laufender Verfahren einer praktikablen Anwendung zugeführt werden können oder die Zersplitterung des Rechts durch „Mini-Regulierungen“ in einzelnen Jurisdiktionen bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eintritt.
Produkthaftung als wesentliches Anwendungsfeld der Abhilfeklage
Von besonderem Interesse wird die kürzlich in Kraft getretene EU-Produkthaftungsrichtlinie (PLD) sein, die für Fälle ab Ende 2026 gelten wird. Die PLD vereinfacht Verbrauchern die Geltendmachung von Schadensersatz, insbesondere durch deutlich erleichterte Beweislastregeln, inklusive Offenlegung von Beweismitteln sowie des Wegfalls bisheriger Haftungshöchstgrenzen. Unternehmen dürften hier vermehrt Ziel europaweiter Sammelklagen werden. Das drohende Haftungsrisiko verdeutlicht eine aktuelle europaweite Klage einer qualifizierten Einrichtung gegen einen großen, international tätigen Technologiekonzern aus den Niederlanden aufgrund angeblich fehlerhafter medizinischer Geräte. Rund 1,2 Millionen Verbraucher sind potenziell betroffen; zehntausende Verbraucher haben sich der Klage angeschlossen.
Prozessfinanzierung
Die Bedeutung europaweiter Verbandsklagen wird von der künftigen Regulierung der Prozessfinanzierung beeinflusst werden, die aktuell Gegenstand intensiver politischen Diskussion ist. Die EU-Kommission agiert bislang zurückhaltend und veröffentlichte erst im März 2025 eine umfassende Studie. Unternehmensverbände drängen auf striktere Regeln, während sich Verbraucherorganisationen und Prozessfinanzierer für liberalere Vorgaben aussprechen. Die Finanzierungsfrage dürfte entscheidend dafür sein, ob sich die Abhilfeklage als praktisches Instrument etablieren kann oder weiterhin auf ausgewählte Verfahren beschränkt bleibt. Der Ausgang der Diskussion auf europäischer Ebene ist offen. Jedoch scheint eine restriktivere Regulierung derzeit eher unwahrscheinlich zu sein.
Fazit
Die Einführung der Abhilfeklage zur kollektiven Durchsetzung von Zahlungsansprüchen schafft eine neue, aber bislang wenig genutzte Möglichkeit kollektiver Rechtsdurchsetzung. Der kollektive Rechtsschutz in Deutschland bleibt weiterhin in den Kinderschuhen stecken – echte Dynamik entwickelt sich eher im europäischen Umfeld. Die derzeit geringe Zahl der Abhilfeklagen in Deutschland lässt sich mit bestehenden rechtlichen und tatsächlichen strukturellen Herausforderungen erklären. Auch wenn die praktischen Auswirkungen der Abhilfeklage in Deutschland noch überschaubar sind, wird sich das Prozessrisiko für Unternehmen in Zukunft eher deutlich erhöhen.
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