Auch das Insolvenzverfahren ist als Gesamtvollstreckungsverfahren auf eine Verwertung des vorhandenen Vermögens zu Gunsten der Gläubiger ausgerichtet. Die Restrukturierung und Sanierung unterliegt dabei jedoch maßgeblich der Gläubigerautonomie. Mit der gleichzeitig in der InsO eingeführten Eigenverwaltung wollte der Gesetzgeber Anreize für eine frühzeitige Antragstellung zu Gunsten der Sanierungsmöglichkeiten von Unternehmen schaffen.
Im Zuge der Finanzmarktkrise sorgte der Gesetzgeber 2008 durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und die Wiedereinführung des zweistufigen Überschuldungsbegriffes dafür, dass grundsätzlich fortführungsfähige Unternehmen nicht wegen Überschuldung in eine Insolvenzantragspflicht gerieten.
ESUG modernisiert Restrukturierungsrecht
Durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) aus dem Jahr 2012 gelang ein weiterer großer Schritt in Richtung einer modernen Sanierungs- und Restrukturierungskultur. Die Einführung des Schutzschirmverfahrens sowie der Möglichkeit einer Eigenverwaltung im Insolvenzantragsverfahren und die Anpassungen im Insolvenzplanverfahren sorgten dafür, dass Unternehmerinnen und Unternehmer ein Insolvenzverfahren als eigenständiges Restrukturierungsinstrument und Option im Zuge der Restrukturierung in Betracht ziehen konnten. Gleichzeitig wurden die Mitbestimmungsrechte der Gläubiger erweitert, insbesondere was die Auswahl der beteiligten Insolvenzverwalter und Sachwalter anging. Die Eigenverwaltung, in der das schuldnerische Unternehmen lediglich unter die Aufsicht eines Sachwalters gestellt wird und im Übrigen verwaltungs- und verfügungsbefugt bleibt, stieß zu Beginn auf Skepsis. Viele Verfahrensbeteiligte hatten Bedenken, dass „der Bock zum Gärtner“ gemacht würde, wenn das vorhandene Management auch im Insolvenzverfahren Führungsverantwortung übernehme. Anfangs bestätigten sich diese Vorbehalte zum Teil, weil einige Eigenverwaltungsverfahren in den frühen Jahren des ESUG unprofessionell begleitet wurden. So mussten manche in Eigenverwaltung begonnene Verfahren in eine Fremdverwaltung überführt werden. Der „Neustart“ einer Fremdverwaltung nach Aufhebung der Eigenverwaltung bietet regelmäßig nur noch geringere Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung. Verwirrung und Vertrauensverlust auf Seiten der Gläubiger behindern die Fortführung. Das Insolvenzplanverfahren blieb auch nach dem ESUG eher eine Ausnahmeerscheinung, denn am häufigsten setzten die Verwalter auf die übertragende Sanierung im Rahmen eines Asset Deal. Ein weiteres Instrument, der vom Gesetzgeber eingeführte Debt-to-Equity-Swap, mit dem Insolvenzforderungen mit Zustimmung der Beteiligten in Geschäftsanteile umgewandelt werden können, kam und kommt kaum zur Anwendung.
Professionalisierung der Eigenverwaltung
Nach und nach professionalisierte sich die Eigenverwaltung, denn zahlreiche Berater spezialisierten sich auf die Unterstützung der eigenverwaltenden Schuldnerinnen und Schuldner. Auch erfahrene Insolvenzverwalter nahmen die Rolle des „Eigenverwalters“ an, bis hin zur Übernahme der Organstellung. Diese fachliche Aufwertung der Eigenverwaltung ließ die Akzeptanz der Verfahrensart bei den institutionellen Gläubigern und den Insolvenzgerichten wachsen. Mittlerweile ist es Standard, dass Insolvenzexperten als Generalbevollmächtigte oder weitere Geschäftsleiter im Organ die Unternehmen bei der Eigenverwaltung unterstützen. So ist eine insolvenzrechtlich ordnungsgemäße Abwicklung des Verfahrens gesichert. Uneingeschränkt gilt das Primat des § 1 InsO – die bestmögliche Gläubigerbefriedigung – als oberste Maxime des Verfahrens. Durch die Möglichkeit, das Verfahren selbst zu steuern, stellen die Unternehmen wesentlich früher einen Insolvenzantrag
Das ebenfalls mit dem ESUG eingeführte Schutzschirmverfahren ist in der öffentlichen Wahrnehmung kaum mit der Insolvenz assoziiert. Da es sich in Summe nicht wesentlich von der vorläufigen Eigenverwaltung unterschied, jedoch höhere Anforderung zu erfüllen waren, führte es bis zur Corona-Pandemie ein Schattendasein. Im Zuge des ersten Lockdowns 2020 nutzten unterschiedliche Unternehmen bewusst diese Verfahrensart, um ein positives Zeichen im Sinne der Fortführung zu setzen, da im Wesentlichen externe Faktoren in die Krise geführt hatten.
Sanierung im Fokus der Verwalter
Auch in der Fremdverwaltung ist eine moderne Sanierungskultur durch die Gläubigerautonomie und die Sanierungsinstrumente der InsO angekommen. Insolvenzverwalter legen den Hauptfokus auf den Erhalt des Betriebs, die Fortführung und (übertragende) Sanierung der Unternehmen, um so die vorhandenen Werte bestmöglich zugunsten der Gläubigergesamtheit zu verwerten und Liquidationskosten zu vermeiden. Der Insolvenzplan als Sanierungsmittel wird zum Erhalt des insolventen Rechtsträgers und der damit verbundenen Vertragsverhältnisse und Lizenzen immer häufiger genutzt.
Vorinsolvenzliche Restrukturierung durch StaRUG
Mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) setzte der deutsche Gesetzgeber die EU-Richtline 1023/2019 über den präventiven Restrukturierungsrahmen um. Er schuf dabei mit dem Gesetz über die Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen (StaRUG) die Möglichkeit einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung unter Einbeziehung einzelner Gläubigergruppen. Ursprünglich sah das StaRUG auch die Möglichkeit einer vorzeitigen Vertragsbeendigung bei gleichzeitiger Restrukturierung der Ersatzforderung des Vertragspartners vor. Am Ende fand die „Vertragsbeendigung“ mit Blick auf den Vertrauensschutz der Vertragspartner keinen Einzug in das StaRUG. Die Schwächung des Gesetzes führte dazu, dass lediglich eine Bilanzrestrukturierung möglich ist. Eine operative Restrukturierung kann im Rahmen eines Verfahrens nach dem StaRUG kaum erfolgen. Auch deshalb kam es bisher nur in wenigen Fällen zur Anwendung. Gerade vor dem Hintergrund der Transformationsherausforderungen des Einzelhandels und der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Filialisten wäre die gesetzlich geregelte Möglichkeit einer Vertragsbeendigung zur Restrukturierung wünschenswert gewesen.
Einführung der Sanierungsmoderation
Der Gesetzgeber nutzte das SanInsFoG auch dazu, über die EU-Richtlinie hinauszugehen und eine Sanierungsmoderation ähnlich dem französischen „mandat ad hoc“ mit aufzunehmen. Dieses Instrument bietet sich für kleine Unternehmen an, die keine professionellen Berater hinzuziehen können. Ein weiterer Schritt in die Richtung der vorinsolvenzlichen Restrukturierung.
Strengere Voraussetzungen für Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren
Letztlich nutze der Gesetzgeber das SanInsFoG auch zur Reformierung der Eigenverwaltung und der klareren Konturierung der Insolvenzantragspflichten. So wurden durch die Notwendigkeit einer Eigenverwaltungsplanung die Voraussetzungen für die Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung und eines Schutzschirmverfahrens erhöht, was die Qualität dieser Verfahren und ihr Ansehen weiter verbessert. Die Voraussetzungen der Eigenverwaltungsplanung waren bei professionellen Beratern auch vorher bereits Standard.
Klare Prognosezeiträumen von 12 und 24 Monaten grenzen Überschuldung und die drohende Zahlungsunfähigkeit voneinander ab.
Sanierung durch frühe Antragstellung
Sämtliche Regelungen des SanInsFoG zeigen, dass der Gesetzgeber unabhängig von den Vorgaben der EU die vorinsolvenzliche Restrukturierung stärken und die frühere Insolvenzantragstellung zu Gunsten der Sanierung der Unternehmen weiter fördern will. Das StaRUG mit dem präventiven Restrukturierungsrahmen und der Sanierungsmoderation haben jeweils noch Nachbesserungsbedarf, insbesondere was die Möglichkeiten der operativen Restrukturierung unter gerichtlicher Begleitung angeht.
Nach dem COVID-Aussetzungsgesetz (COVInsAG) aus dem Jahr 2020 darf der Gesetzgeber jedoch nicht der Versuchung erliegen, sämtliche größeren Krisen durch Aussetzung von Insolvenzantragspflichten und Ausschüttung von Hilfsgeldern zu überdecken. Dies führt zu immer höherer Verschuldung der Unternehmen und letztlich auch zur Verschleppung notwendiger Marktbereinigungen.
Kernaussagen:
- Seit Einführung der Insolvenzordnung stärkt der Gesetzgeber konsequent die Sanierungsmöglichkeiten und Gläubigerrechte in der Insolvenz
- Das ESUG führte mit Schutzschirmverfahren und vorläufiger Eigenverwaltung zu einem Schub für die gerichtliche Sanierung
- Mittlerweile ist die Eigenverwaltung professionalisiert und bei den Gläubigern anerkannt. Das SanInsFoG hat 2021 mit der Reform der Zugangsvoraussetzungen zu einer weiteren Aufwertung der Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens geführt.
- Das StaRUG öffnet Möglichkeiten zu gerichtlich begleiteten vorinsolvenzlichen Restrukturierungsmöglichkeiten.
- Dem StaRUG fehlen Instrumente zur operativen Sanierung, sodass es Bilanzsanierungen vorbehalten bleibt.
- Die Insolvenzantragsgründe wurden 2021 klarer gefasst. Der Gesetzgeber sollte sie jedoch nur in absoluten Ausnahmefällen aufweichen oder aussetzen.