++++ Unter besonderer Beobachtung der Fachleute dürfte die Insolvenz des fünftgrößten deutschen Drogerie-Filialisten Ihr Platz stehen. Das Unternehmen mit einem Umsatz von zuletzt etwa 700 Millionen Euro meldete Ende Mai beim Amtsgericht Osnabrück Insolvenz an – dies allerdings wenig überraschend. Denn die Pleite könnte zu einem Musterfall des modernen Insolvenzrechts werden, der Paradefall für das Ausschöpfen einer breiten Palette des insolvenzrechtlichen Instrumentariums.
Begonnen hatte alles vor über zwei Jahren. Ihr Platz steckte damals schon länger in Schwierigkeiten, die Banken wollten den Hahn zudrehen. Sie schlugen jedoch vor, die Anteile der Gründerfamilie Frömbling an Treuhänder zu übergeben. Darauf kamen die ersten Insolvenzfachleute ins Haus: Christopher Seagon, Insolvenzverwalter und Partner der Heidelberger Insolvenz-Traditionskanzlei Wellensiek Rechtsanwälte und Görg-Partner Dr. Helmut Balthasar. Von da an war die Geschäftsführung von Ihr Platz gehalten, nur noch in engem Einverständnis mit den Treuhändern zu agieren. Zudem engagierte die Geschäftsführung den Düsseldorfer Insolvenzverwalter Horst Piepenburg (Piepenburg-Gerling Rechtsanwälte) als Krisen-Berater, um die Restrukturierung zu begleiten.
Dieses Konzept lief bis in dieses Jahr hinein. Dann ging alles ganz schnell. Im Februar wurde die alte Geschäftsführung ausgewechselt und musste Platz machen für Fachleute der auf Restrukturierungen spezialisierten US-Beratungsgesellschaft Alvarez & Marsal. Der Gesellschaft, erst seit kurzer Zeit in Deutschland aktiv, bescherte der Fall den ersten öffentlich bekannt gewordenen Einsatz hierzulande. Seitdem stellen zwei Alvarez-Männer die Geschäftsführung des Drogeristen unter Vorsitz des Managing-Directors Sankar Krishnan. Daneben wurde Thomas Fox, Partner der Berliner Sanierungsfirma Modals Management AG, ebenso in das Gremium berufen, wie nach dem Insolvenzantrag Horst Piepenburg.
Schief gehen dürfte mit einer solchen Menge an Spezialisten eigentlich nichts mehr. Der Insolvenzantrag jedenfalls wirkt weniger dramatisch als sonst. „Mit dem umfangreichen Sanierungskonzept werden wir Ihr Platz aus der defizitären Lage führen, die meisten der rund 8.800 Arbeitsplätze sichern und das Unternehmen wieder zu einer auch auf lange Sicht gesunden Drogeriemarktkette umgestalten“, sagte Krishnan als er der Öffentlichkeit die Pläne für eine Insolvenz in Eigenverwaltung erläuterte. Zwar habe man sich auch eine Sanierung außerhalb der Insolvenz vorstellen können, doch die sei aus einer „Vielzahl von Gründen“ nicht zustande gekommen.
Nun kommt es darauf an, dass alle mitspielen. Der Hauptgläubiger von Ihr Platz, die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs, stellte der Masse einen Kredit zur Verfügung und beurteile das Sanierungskonzept positiv, hieß es. Die Bank wird natürlich ebenfalls hochkarätig vertreten: von dem Hamburger Freshfields Bruckhaus Deringer-Partner und Sanierungsexperten Dr. Lars Westpfahl, wie zu hören ist.
Sollte die Gesundung des Unternehmens in Eigenverwaltung gelingen, wird dies auch ihren Kritikern zu denken geben. Der Weg für ein positives Ende scheint jedenfalls geebnet. Und mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter Dr. Hartmut Stange, einem Bielefelder Partner von Streitbörger Speckmannn schließlich, ist einer der anerkanntesten und erfahrensten Verwalter Westfalens an Bord gekommen. Ein anderes Profil dürfte ein Sachwalter in der Eigenverwaltung angesichts der Versammlung von Experten bei Ihr Platz auch nicht haben. ++++
++++ Auf die Eigenverwaltung setzt man auch bei der Agfaphoto GmbH, die ebenfalls Ende Mai Insolvenz angemeldet hat. Das Unternehmen, erst im Spätsommer letzten Jahres von der belgischen Agfa-Gevaert an die heutige Geschäftsführung und die Nanno Beteiligungsgesellschaft um ihren Chef Hartmut Ermans veräußert (JUVE 10/04), geriet völlig überraschend in Schwierigkeiten – überraschend nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern offenbar auch für das Unternehmen selbst. Denn anders als bei der langfristig angelegten Restrukturierung von Ihr Platz mandatierte Agfaphoto-Geschäftsführer Eddy Rottie erst Anfang Mai den Insolvenzexperten Hans-Gerd Jauch, Kölner Partner von Görg. Jauch entdeckte die Schwierigkeiten des Unternehmens recht schnell. „Zwar wurde Agfaphoto mit dem Verkauf rechtlich verselbstständigt. Doch laufen etwa der Vertrieb und die IT immer noch über Agfa-Gevaert“, sagt Jauch. „Dazu kam ein Liquiditätsengpass, so dass ich Herrn Rottie geraten habe, Insolvenz anzumelden.“
Das tat der Geschäftsführer auch umgehend und wandte sich an das Amtsgericht Köln. Doch obwohl Rottie eine Eigenverwaltung vorschwebte, wurde Jauch zunächst nicht in der Geschäftsführung installiert. Zunächst wartete man ab und hielt Rücksprache mit dem zum vorläufigen Verwalter bestellten Dr. Andreas Ringstmeier (Dr. Ringstmeier & Kollegen). Doch der sehr angesehene Kölner Verwalter begrüßte offenbar die Idee. „Die Berufung von Herrn Jauch in die Geschäftsführung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung angeordnet werden kann“, erklärte Ringstmeier: „Diese Anordnung der Eigenverwaltung wäre ein deutliches Signal für die Märkte. Da dieses Verfahren durchaus dem amerikanischen Gläubigerschutz nach Chapter 11 ähnelt und weltweit bekannt ist, kann es unsere Chancen deutlich steigern, das Unternehmen zu sanieren und fort zu führen.“
Die Freunde der Eigenverwaltung können angesichts solcher Worte jubilieren. ++++
++++ Ein weiteres Verfahren mit einer Sanierungsvorgeschichte ist zum selben Zeitpunkt wie Agfaphoto dem Kölner Amtsgericht angetragen worden – doch da hätte es nach mehr als einjährigem Ringen nicht landen sollen. Denn die Restrukturierung der Finanzholding VDN AG schien Wochen zuvor schon abgeschlossen. VDN steckte in Schwierigkeiten, unter anderem wegen der Tochtergesellschaft Deutsche Nickel AG. Doch nach langem Ringen einigten sich Ende 2004 das VDN-Managment (beraten von dem ehemaligen Kirch-Sanierer Hans-Joachim Ziems) und die Anleihegläubiger der Deutschen Nickel AG (vertreten wiederum von einem Partner von Görg) zur Übernahme dieser und anderer Betriebe. Dafür gründeten sie in England eigens eine Gesellschaft namens DNICK Ltd. Das Problem: Über die DNICK wurde Ende April ein englisches Administrationsverfahren eröffnet. Und DNICK schuldete der VDN aus der Übernahme nach Auffassung des Managements noch drei Millionen Euro – die jetzt wohl nicht mehr zu erwarten sind.
Als vorläufiger Verwalter wurde daher Dr. Jörg Nerlich (Dr. Nerlich Rechtsanwälte) eingesetzt. Er prüft, ob sich die VDN über einen Insolvenzplan fortführen lässt und ist dabei in Verhandlungen mit dem Hauptgläubiger, der Commerzbank. Gleichzeitig ist Nerlich jetzt auch einer der Großgläubiger bei DNICK in England. Eine ungewöhnliche Situation für den bekannten Kölner Verwalter. Er lässt derzeit prüfen, welche Rechte ihm in England zustehen. ++++