Exner stellte nach seiner Bestellung die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs beim traditionsreichen Unternehmen Kiekert in Aussicht und nahm Kontakt zu Kunden und Lieferanten auf. Darüber hinaus brachte der Verwalter die Zahlung von Insolvenzgeld für die rund 700 Mitarbeitenden in Deutschland bis einschließlich November auf den Weg, vorfinanziert durch eine Bank. Als weitere Schritte prüfe das Team des Verwalters verschiedene Sanierungsoptionen, so eine Mitteilung, darunter eine Investorenlösung oder die Sanierung über einen Insolvenzplan.
Die ausländischen Tochtergesellschaften der Kiekert AG in Europa, Asien und Nordamerika sind von dem Verfahren nicht betroffen. Sie arbeiten laut Exner „uneingeschränkt weiter“.
Für Irritationen sorgte in der ersten Oktoberwoche eine Mitteilung der chinesischen Eigentümerin Lingyun, in der sie ankündigte, „die Insolvenzgründe zu vermeiden“ und sämtliche Gläubiger zu befriedigen. Der Staatskonzern stellte in Aussicht, Liquidität bereitzustellen und die langfristige Zukunft von Kiekert zu sichern. Dies habe man gegenüber dem Gericht, dem vorläufigen Verwalter sowie wesentlichen Gläubigern klargestellt. Von der Insolvenzanmeldung sei man überrascht worden und habe davon erst aus den Medien erfahren. „Wir sind darüber informiert worden“, reagierte Joachim Exner in einer weiteren Mitteilung auf die Verlautbarung des Konzerns, „konkrete Details sind uns aber nicht bekannt.“
Weltmarktführer für Schließsysteme
Kiekert-Vorstandschef Jérôme Debreu hatte das chinesische Unternehmen zuvor für die Insolvenz verantwortlich gemacht. „Die Insolvenz ist die Konsequenz daraus, dass der chinesische Gesellschafter keine weiteren Mittel bereitgestellt und seine finanziellen Verpflichtungen im dreistelligen Millionenbereich nicht erfüllt hat“, wird der CEO in einem Medienbericht zitiert. Das Ziel des Managements sei nun der Ausstieg des chinesischen Gesellschafters.
Kiekert habe auch durch geopolitische Entwicklungen – insbesondere die US-Sanktionspolitik – erhebliche Auftragsverluste hinnehmen müssen, zitiert der Bericht weiter. Ratingagenturen hätten das Unternehmen aufgrund des chinesischen Gesellschafters heruntergestuft, Banken neue Kredite verweigert.
Kiekert wurde 1857 in Heiligenhaus gegründet und gilt als Weltmarktführer für Kfz-Schließsysteme. Von dem Zulieferer stammt das Schließsystemdesign für jedes dritte Auto weltweit. Die Unternehmensgruppe beschäftigt insgesamt derzeit 4.500 Menschen an elf Standorten und verfügt über einen Auftragsbestand von rund 10 Milliarden Euro.
Das Unternehmen durchlief in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Eigentümerwechsel. Im Jahr 2000 kaufte die Private-Equity-Firma Permira Kiekert für rund 530 Millionen Euro. Nach Verlusten transferierte Permira das Unternehmen an die Beteiligungshäuser BlueBay und Silver Point sowie die Investmentbank Morgan Stanley. 2012 veräußerte das Trio Kiekert an Lingyun.
Die Berater im Überblick
Insolvenzverwaltung
Dr. Beck & Partner (Nürnberg): Joachim Exner (vorläufige Insolvenzverwaltung), Dr. Tobias Wittmann; Maximilian Hauptvogel, Carolin Kammerer (alle Insolvenzrecht/Restrukturierung)
Jones Day (München): Alexander Ballmann, Christine Borries; Associate: Carl Christmann (alle Insolvenzrecht/Restrukturierung) – aus dem Markt bekannt
Berater Vorstand Kiekert
Morgan Lewis & Bockius (München): Dr. Florian Harder (Corporate/M&A; Federführung) – aus dem Markt bekannt
Berater Lingyun
Taylor Wessing (Hamburg): Dr. Martin Heidrich (Insolvenzrecht/Restrukturierung), Qun Huang (Corporate/M&A; Frankfurt; beide Federführung), Dr. Sebastian Beyer (Kapitalmarktrecht; Düsseldorf); Associate: Dr. Rembert Graf Kerssenbrock (Insolvenzrecht/Restrukturierung) – aus dem Markt bekannt
Hintergrund: Exner wird regelmäßig mit großen Verfahren betraut und ist hier einmal mehr in der Automobilbranche aktiv. Dort gilt der Franke als bestens vernetzt. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen, 2024 war er erstmals in NRW bestellt, bei der WKW-Gruppe aus Velbert und Wuppertal, einem Zulieferer mit rund 1.800 Mitarbeitenden. Exner ist seit 1999 nahezu ausschließlich als Verwalter und Sachwalter tätig.
Die Anmeldung beim Insolvenzgericht soll nach einer Marktinformation Jones Day vollzogen haben. Soweit bekannt kam die Kanzlei nach einer Empfehlung hinzu und steht Verwalter und Gesellschaft derzeit weiterhin zur Seite.
Nach JUVE-Informationen tritt ein Team von Taylor Wessing an der Seite der chinesischen Gesellschafterin auf. Federführende Partner sind demzufolge der Hamburger Co-Head der Restrukturierungs- und Insolvenzrechtspraxis der Kanzlei, Heidrich, sowie der langjährige Frankfurter Partner Huang, der an der Schnittstelle von Gesellschaftsrecht und Restrukturierung berät. Im Fokus des in der Krisensituation übernommenen Mandats stand demzufolge die Erstellung eines Sanierungsgutachtens. Huang leitet das deutsche China-Outbound-Team der Kanzlei, der Kontakt zur Mandantin soll über ihn zustande gekommen sein. Sichtbare Distressed-Mandate von Taylor Wessing für den Staatskonzern Lingyun gab es bisher nicht.
Einem Zuruf aus dem Markt zufolge steht Harder von Morgan Lewis dem Kiekert-Vorstand zur Seite. Der Münchner ist regelmäßig mit der gesellschaftsrechtlichen Beratung von Vorständen und Aufsichtsräten befasst und hier dem Vernehmen nach bereits seit einigen Jahren tätig.
Zur Konstituierung eines Lieferantenpools sowie zur rechtlichen Vertretung der Arbeitnehmer wurde zunächst nichts bekannt. Im Gläubigerausschuss wahrt ein Vertreter der IG Metall die Interessen der Beschäftigten.