Bislang galt häufig der Grundsatz: Hat ein Unternehmen im B2C-Geschäft offene Rechnungen und schaltet konzerneigenes Personal ein, um die Forderungen einzutreiben, so kann es die Ausgaben dafür nicht umfänglich beim Schuldner absetzen. In dem aktuellen BGH-Verfahren trat der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und 28 weiterer Verbraucherschutzorganisationen als Musterkläger auf. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) wandte sich gegen das Hamburger Konzernunternehmen EOS, das zur Otto Group gehört. Der Finanzdienstleister EOS erwirbt offene Forderungen und beauftragt regelmäßig eine Schwestergesellschaft mit Inkassodienstleistungen.
Diese Inkassodienstleisterin machte zwischen Februar 2020 und April 2021 im Namen der Konzerngesellschaften gegenüber zahlreichen in Zahlungsverzug gekommenen Kunden Forderungen geltend. Dabei verlangte sie neben der Hauptforderung von den Schuldnern jeweils Verzugszinsen sowie die Erstattung einer Inkassovergütung in Höhe einer 1,3-fachen Gebühr, ausgehend von Stundensätzen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
BGH revidiert OLG-Entscheidung
Das Oberlandesgericht Hamburg – im Musterfeststellungsverfahren die erste Instanz – hatte im Juni 2023 entschieden, dass Inkassokosten nicht ersetzt werden müssten, da der Gläubiger nicht zur Zahlung dieser Kosten verpflichtet sei (3 MK 1/21). Das brachte die Inkassobranche in Aufruhr. Schließlich werden konzerninterne Inkassounternehmen nicht pro Fall vergütet.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil nun auf. Die Inkassokosten seien durchaus als Verzugsschaden erstattungsfähig, so die obersten Zivilrichter, da der Gläubiger durch die Beauftragung des Inkassounternehmens einen Vermögensnachteil erleidet – und zwar unabhängig davon, ob es ein konzerninternes oder externes Inkassobüro sei (Az. VIII ZR 138/23). Die Einschaltung eines Inkassounternehmens sei zur Wahrung der Rechte durchaus angemessen. Und da „im Streitfall eine Berechnung der Inkassokosten gemäß dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vereinbart wurde, kommt eine Anspruchsminderung hiernach nicht in Betracht“, so der BGH.
Erhöhter Schadensersatzanspruch
Zudem zitierte das Gericht aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch: Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist – wie hier der Schuldner –, habe den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Daher habe der Schuldner auch für die Einziehungstätigkeit der Inkassodienstleisterin aufzukommen. Galt bis Anfang Oktober 2021 noch der 1,3-fache Vergütungssatz für Inkassodienste, so hat der Gesetzgeber dies mittlerweile abgesenkt auf 0,9 Prozent des RVG-Satzes. Der Bundesverband als Musterkläger hat nun die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Vertreter im Überblick
Vertreter EOS Investment/Otto Group (Revisionsklägerin)
Inhouse Recht (EOS; Hamburg): Dirk Lohmann (Head of Legal Department)
Dr. Thomas Winter (Karlsruhe; BGH-Vertretung)
Freshfields (Hamburg): Prof. Dr. Patrick Schroeder, Hanno Delp; Associates: Marie Laubenstein, Dr. Fabian Seigfried (alle drei Frankfurt) Christina von Hausen (alle Konfliktlösung; alle Vorinstanz)
Vertreter Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (Musterklägerin)
Inhouse Recht (Hamburg): Ronny Jahn (Leiter Team Sammelklagen)
Richard Lindner (Karlsruhe; BGH-Vertretung)
Prof. Dr. Wolfgang Jäckle (Münster; Vorinstanz)
Bundesgerichtshof, VIII. Zivilsenat
Dr. Ralph Bünger (Vorsitzender Richter), Dr. Ulrike Liebert, Simone Wiegand, Dr. Susanne Matussek, Dr. Sonja Böhm
Hintergrund: Soweit bekannt wurde BGH-Vertreter Winter hier erstmals für die Otto Group tätig. Winter wird aber regelmäßig von Freshfields für die letzte Instanz hinzugezogen. Die Magic-Circle-Kanzlei vertritt und berät insbesondere mit ihrem Hamburger Team schon langjährig den Versandhandelskonzern, auch bei Transaktionen.
Inhouse-Jurist Lohmann, der seit März 2024 die Teams für Legal und Data Privacy bei EOS leitet, war zuvor bei SAF Forderungsmanagement der Deutschen Telekom Group tätig, bevor er 2012 zur EOS Group wechselte.
Ronny Jahn leitet seit 2019 das Team Musterfeststellungsklage beim Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv. Der in Münster beheimatete Anwalt Jäckle, der den Bundesverband in der Vorinstanz vertrat, befasst sich schon seit mehreren Jahrzehnten mit der Erstattungsfähigkeit der Kosten von Inkassobüros.
Lindner, BGH-Vertreter des Dachverbandes, wiederum wird häufig mit Rechtsbeschwerdeverfahren auf Kundenseite, insbesondere auch in Kapitalmusterverfahren und Musterfeststellungsklagen, betraut. Hier wurde er direkt vom vzbv mandatiert, den er schon in früheren Verfahren vertrat. Auch für örtliche Verbraucherzentralen war Lindner schon vor dem BGH tätig.