Zahlreiche polnische Spediteure klagen wegen der ihrer Ansicht nach überhöhten Mautgebühren. Sie argumentieren, dass die deutschen Regeln im Bundesfernstraßenmautgesetz, die der Mautberechnung zugrunde liegen, gegen die europäische Wegekostenrichtlinie verstoßen. Das Europäische Recht gebe vor, dass allein tatsächliche Infrastrukturkosten wie Verschleiß berechnet werden können. Zusatzgebühren wie beispielsweise Polizeikosten dürften die Maut nicht beeinflussen.
Weitere Vorlagefragen betreffen die Rolle des Bundesamts für den Güterverkehr bei der Gebührenfestlegung und die Frage, ob jeder Spediteur die vom Bundesamt festgelegten Mautsätze vor deutschen Gerichten anfechten darf.
Folgen für den Staatshaushalt
Das Verfahren kann für den Bund folgenschwer sein. Sollte der EuGH allein den Infrastrukturverschleiß als Rechengröße genehmigen, dann verliert der Bund Einnahmen, mahnen Experten. Unangenehm kann es auch dann werden, wenn in Zukunft jeder die Höhe der Gebühren anfechten kann. Im vergangenen Jahr hatte sich der Bund in zwei vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) angestrengten Musterverfahren verglichen. Außerdem sollen auch bei der Pkw-Maut Polizeikosten mitberechnet werden.
Die Rechtsschutzfrage haben deutsche Gerichte im Verkehrssektor zuletzt häufiger an den EuGH weitergeleitet. Nachdem der EuGH für den Schienenverkehr entschieden hat, dass Schienenverkehrsunternehmen Entgelte von den nationalen Verwaltungsgerichten überprüfen lassen können (Az. C-489/15), legte das Bundesverwaltungsgericht die Frage dem EuGH auch für die Flughafenentgelte vor (Az. 3 C 20.16), die in Deutschland zu den teuersten in Europa gehören.
Auch wenn es sich in den beiden Fällen um Entgelte und nicht um Gebühren wie im Fall der Maut handelt, ist es durchaus möglich, dass der EuGH hier keinen Unterschied macht, meinen Experten. Er könnte die sogenannte unmittelbare Wirkung des EU-Rechts anerkennen, die es jedem Spediteur erlaubt, gegen die Gebührenbescheide vor nationalen Gerichten vorzugehen.
Vertreter Abtrans/Adam und Anna Piasny
Pfnür (Görlitz): Martin Pfnür (Öffentliches Wirtschaftsrecht)
Vertreter Bundesrepublik Deutschland/Bundesamt für den Güterverkehr
Avocado (Köln): Dr. Matthias Schleifenbaum (Öffentliches Wirtschaftsrecht)
Freshfields Bruckhaus Deringer (Düsseldorf): Dr. Juliane Hilf; Associates: Klaus Umbach, Dr. Jonas Dereje (alle Öffentliches Wirtschaftsrecht)
Oberverwaltungsgericht Münster, 9. Senat
Dr. Annette Kleinschnittger (Vorsitzende Richterin)
Hintergrund: Der Gebührensenat des OVG Münster ist auch für Abfall- und Wassergebühren zuständig. Richterin Kleinschnittger sitzt dem Senat seit 2011 vor.
Pfnür vertritt regelmäßig polnische Speditionsunternehmen vor deutschen Gerichten. Er berät hier insgesamt 39 polnische Unternehmen in Streitigkeiten mit dem Bundesamt. Sieben Verfahren sind aktuell noch beim Verwaltungsgericht Köln anhängig, sie lehnen sich an die Klagen des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) an. Mit dem Vergleich, den nach JUVE-Informationen Prof. Dr. Thomas Mayen von Dolde Mayen für den Verband verhandelte, nahm die Klage der Spediteure Adam und Anna Piasny die Position des Musterverfahrens ein.
Auf der Gegenseite kämpft die Bundesregierung bereits seit vielen Jahren mit Freshfields gegen die drohende Gefahr für den Gebührenhaushalt. Schleifenbaum, der im Frühling 2017 zu Avocado wechselte, hatte die zahlreichen Verfahren dem Vernehmen nach sowohl gegen den Verband als auch gegen die Spediteure zusammen mit Freshfields-Partnerin Hilf begleitet. (Martin Ströder)