Nachdem das Landgericht München im Frühjahr noch eine einstweilige Verfügung ausgesprochen hatte, sah das Oberlandesgericht bei der mündlichen Verhandlung keine Grundlage hierfür. Daraufhin zog Bayer seinen Verfügungsantrag zurück (6 U 1431/24).
Weiterhin bleibt also gerichtlich ungeklärt, wie weit die Prüfpflichten der Informationsstelle für Arzneispezifitäten (IFA) vor Listung eines Medikaments gehen – ein Thema, das auch in anderen Patentauseinandersetzungen um Medikamente immer wieder hochkocht.
Auf der IFA-Datenbank beruht die sogenannte Lauer-Taxe, die den Apotheken Auskunft über die Verfügbarkeit zugelassener Arzneimittel gibt. Ohne eine Listung in der Lauer-Taxe können Medikamente hierzulande nicht vertrieben werden. Dadurch hat die IFA eine marktbeherrschende Stellung und ist kartellrechtlich grundsätzlich verpflichtet, Generika in ihre Datenbank aufzunehmen – eine Verpflichtung, die regelmäßig mit patentrechtlichen Ansprüchen von Patentinhabern kollidiert.
Die IFA im Kreuzfeuer
Bayer ist Inhaberin des Patents EP 1 261 606, das den Wirkstoff Rivaroxaban schützt. Dieser bildet die Basis des Thrombosemedikaments Xarelto – ein Blockbuster, der Bayer allein im Jahr 2023 laut Statista über 4 Milliarden Euro weltweit bescherte. Der Patentschutz dafür lief in diesem April aus. Das Dosierungspatent EP 1 845 961 für die Behandlung von Thrombosen mit dem Wirkstoff Rivaroxaban jedoch ist noch bis Januar 2026 gültig. Mithilfe dieses Schutzrechts will Bayer weiterhin Rivaroxaban-Nachahmerprodukte vom Markt halten und führt Verfügungsverfahren gegen diverse Generikahersteller.
Der Streit dreht sich unter anderem darum, welche Darreichungsform – als Hartkapsel oder als Tablette – von dem Patentanspruch geschützt ist. Parallel dazu geht Bayer auch gegen die IFA vor, wobei die Frage im Mittelpunkt steht, wie weit die Prüfpflichten der IFA vor Listung eines Generikums gehen.
Bayer sieht in einem möglichen Markteintritt von Rivaroxaban-Generika eine äquivalente Patentverletzung, da Xarelto seiner Ansicht nach noch von dem Dosierungspatent geschützt wird. Bereits im Februar hatte die IFA gegenüber Bayer erklärt, dass sie Rivaroxaban-Generika in Tablettenform nicht vor dem 1. Februar 2026, dem Ablaufdatum des Dosierungspatents EP 961 listen würde. Die Kapselform hingegen werde frühestens ab dem 15. April 2024 nach Ablauf des EP 606 und des darauf basierenden ergänzenden Schutzzertifikats (SPC) gelistet. Bayer fordert, dass die IFA auch die Generika für die Kapselform nicht vor Februar 2026 in ihrer Datenbank listet.
Im März dieses Jahres urteilte das Landgericht München, die Listung in der Kapselform sei eine offensichtliche Patentverletzung, da Bayer die IFA darauf hingewiesen hat, dass der Markteintritt der Generika eine äquivalente Patentverletzung darstellt. Daher verurteilte das Landgericht München die IFA per einstweiliger Verfügung dazu, Anträge von Generikaherstellern auf Listung von Nachahmerprodukten mit dem Wirkstoff Rivaroxaban in Form von Hartkapseln an Bayer zu melden (Az. 21 O 2080/24) und eine Listung zu unterlassen. Dem Urteil zufolge ist der IFA zuzumuten, dass sie – unter Umständen durch Hinzuziehen eines Patentanwalts – eine mögliche Patentverletzung prüft.
Die ebenfalls von Bayer angeführte Tablettenform jedoch ist von dem Urteil nicht betroffen. Die IFA stellte in der Verhandlung klar, dass sie letztere nicht listet.
Landgericht sieht offensichtliche Patentverletzung
Beide Parteien legten gegen das Urteil des Landgerichts München Berufung ein. Bayer fordert, dass auch die Tablettenform von der einstweiligen Verfügung erfasst wird, die IFA hingegen wehrt sich gegen den Verletzungsvorwurf und den Auskunftsanspruch. Sie sieht ihre Prüfpflichten von dem erstinstanzlichen Urteil zu weit ausgelegt.
Das Oberlandesgericht kam nun zu einem anderen Schluss. In seiner Einführung in den Fall unterstrich der Vorsitzende Richter Lars Meinhardt, die Verletzungsfrage stehe nicht im Mittelpunkt der Verhandlung. Diese war in der ersten Instanz noch ausführlich diskutiert worden.
Anders als das Landgericht sahen die Richter des Oberlandesgerichts weder eine offensichtliche Verletzungsgefahr durch die Listung in Kapselform, noch eine Erstbegehungsgefahr. Schließlich, so Meinhardt, gebe es keinen Hinweis darauf, dass eine Listung der Generika geplant sei. Im Gegenteil, in dem Moment, in dem sie von den gerichtlichen Auseinandersetzungen Kenntnis hatte, habe die IFA bereits dargelegt, dass sie die Nachahmerprodukte von Xarelto nicht vor dem Ablauf des Patentschutzes listen wird. Die IFA habe sich keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht. Demnach habe Bayer keinen Anspruch auf eine einstweilige Verfügung.
Verletzung nicht das Thema
Was die potenzielle äquivalente Patentverletzung durch die Listung der Kapselform angehe, müsse diese genau geprüft werden. Dafür bedürfe es aber eines gerichtsfesten Urteils. Dieses liege nicht vor, daher könne man nicht von einer offensichtlichen Patentverletzung durch die IFA sprechen.
Wenn schon bei der Kapsel keine Erstbegehungsgefahr bestehe, liege sie für die Tablettenform erst recht nicht vor. Da auch hier keine offensichtliche Patentverletzung sichtbar sei, sei Bayers Anspruch auf eine einstweilige Verfügung unbegründet.
Meinhardt machte deutlich, dass – vorbehaltlich weiterer Argumente der Parteien – die Berufung der IFA gegen das erstinstanzliche Urteil sehr wahrscheinlich erfolgreich wäre. Nach einer kurzen Pause gab Bayer bekannt, den Antrag auf einstweilige Verfügung zurückzuziehen.
Dadurch liegt einmal mehr kein rechtskräftiges Urteil zu den konkreten Prüfpflichten der IFA vor. Immer wieder gehen Pharmahersteller in Patentauseinandersetzungen gegen Generikahersteller auch gegen die IFA vor, um eine Listung der Nachahmerprodukte zu verhindern. So geschehen im Streit um Bristol Myers Squibbs Krebsmedikament Revlimid mit dem Wirkstoff Lenalidomit und Eli Lillys Alimta mit dem Wirkstoff Pemetrexed.
In den parallelen Verfahren gegen die Generikahersteller hatte das Landgericht München bereits einige einstweilige Verfügungen gegen Accord, betapharm, 089 Pharm und Zentiva ausgesprochen (Az. 21 O 3790/24; 21 O 4172/24; 21 O 4272/24 und 21 O 3127/24). Diese gehen in der zweiten Instanz im Frühjahr 2025 weiter.
Vertreter Bayer
A&O Shearman (Düsseldorf): Dr. Stefan Neuhaus; Associates: Leonhard Vill, Caroline Bley (Patentanwältin; alle IP)
Cohausz & Florack (Düsseldorf): Dr. Nathalie Kirchhofer, Dr. Arwed Burrichter (beide Patentanwälte)
Inhouse (Monheim): Lisa Haselhorst (Litigation Counsel), Stefan Beyreuther, Jan-Oliver Anselm
Vertreter IFA
Kozianka & Weidner (Hamburg): Michael Weidner (Pharma- und Medizinprodukterecht)
Inhouse (Frankfurt): Axel Röpke (Legal Counsel)
Vertreter 089 Pharm (Nebenintervenient 1)
Preu Bohlig & Partner (Paris): Konstantin Schallmoser (IP)
Vertreter Aliud Pharma und Stada (Nebenintervenienten 2 und 5)
Taylor Wessing: Dr. Jan Rektorschek; Associates: Julia Fischer, Charlotte Gräfin von Schwerin (alle IP)
Kernebeck (Frankfurt): Dr. Thomas Kernebeck (Patentanwalt)
Vertreter Hexal (Nebenintervenient 4)
Preu Bohlig & Partner (München): Peter von Czettritz (Pharma- und Medizinprodukterecht/IP)
Kraus & Lederer (München): Dr. Michael Best
Inhouse: Dr. Gregor Wenzel (Senior Legal Counsel), Andrea Melzer (Legal Counsel)
Vertreter betapharm (Nebenintervenient 6)
Preu Bohlig & Partner (Hamburg): Daniel Hoppe, Dr. Sarah Salaschek
Vertreter Zentiva (Nebenintervenient 7)
Arnold Ruess (Düsseldorf): Dr. Lisa Rieth
Reddie & Grose (München) Robin Ellis (Patentanwalt)
Oberlandesgericht München, 6. Senat
Lars Meinhardt (Vorsitzender Richter), Georg Baumann, Dr. Andrea Heister
Hintergrund: Beide Hauptstreitparteien und zahlreiche Nebenintervenienten hatten ein Großaufgebot an Anwälten nach München geschickt. Allein 25 Rechts- und Patentanwälte sowie Unternehmensvertreter hatten sich im Raum 411 des Oberlandesgerichts München eingefunden. Die meisten davon beraten ihre Mandanten seit Jahren und sind auch in den parallel laufenden Verfügungsverfahren um die Verletzungsfrage aktiv.
Klägerin Bayer mandatierte ein Team von A&O Shearman, geführt von Stephan Neuhaus. Der Düsseldorfer Partner, der 2021 von Hogan Lovells wechselte, hat viel Erfahrung in Streitigkeiten um Pharmapatente. So war er auch in dem umfassenden Verfahren um Eli Lillys Pemetrexed involviert, bei dem ebenfalls die IFA angegriffen wurde. Für die technischen Fragen kooperierte er mit den Pharmaexperten Nathalie Kirchhofer und Arwed Burrichter von der Patentanwaltskanzlei Cohausz & Florack.
Die Hamburger Pharmarechtsboutique Kozianka & Weidner vertritt die IFA seit einigen Jahren. So war das Team um Medizinrechtler Michael Weidner auch in einem ähnlich gelagerten Streit gegen Bristol Myers Squibb um die Listung der Generika für das Krebsmittel Revlimid mit dem Wirkstoff Lenalidomid für die IFA aktiv. In früheren Auseinandersetzungen arbeitete der Informationsdienst auch mit anderen Vertretern zusammen – im Streit um Eli Lillys Pemetrexed etwa mit der der Frankfurter Boutique Sander & Krüger und im Prozess um Nexavar mit der Düsseldorfer Spezialkanzlei Novacos.
Preu Bohlig mehrfach vertreten
Accord, betapharm und 089 Pharm mandatierten sowohl als Nebenintervenienten als auch in den parallel gegen die Generikahersteller geführten Verfügungsverfahren mit verschiedenen Teams der gleichen Kanzlei. Während der Hamburger Preu Bohlig-Partner Daniel Hoppe in der ersten Instanz noch Accord vertrat, war er vor dem Oberlandesgericht für betapharm tätig, für die zuvor Carl-Alexander Dinges aktiv war. 089 Pharm setzte auf Konstantin Schallmoser vom Pariser Preu Bohlig-Büro. Die drei Partner werden sich mit einem mehrköpfigen Team von Preu Bohlig aus dem Hamburger, Pariser und Münchner Büro als neue Kanzlei unter dem Namen Bonabry abspalten.
Preu Bohlig ist im Markt nicht nur für seine Patentpraxis bekannt, sondern treibt seit Jahren auch sein Konzept ‚IPplus‘ voran. Dieses schließt eine wachsende Praxis für Pharmaregulierung ein, die von Medizin- und Patentrechtler Peter von Czettritz geleitet wird. Er vertrat im aktuellen Fall Hexal, die in der ersten Instanz noch auf Anja Lunze von Taylor Wessing gesetzt hatten.
Zentiva vertraute auf ihre Stammkanzlei Arnold Ruess, deren junge Counsel Rieth den Generikahersteller als Nebenintervenient in München vertrat. Für technische Fragen stand ihr Patentanwalt Robin Ellis aus dem Münchner Büro der britischen Kanzlei Reddie & Grose zur Seite. Aliud und Stada mandatierten ein Team um Jan Rektorschek von Taylor Wessing.