Das Feld der ESG-Beratung ist gerade mal ein paar Jahre alt und doch bereits von tiefen Umwälzungen betroffen. Als Basisleistung bieten bisher fast alle in diesem Kapitel besprochenen Kanzleien Lieferketten-Compliance-Beratung an, auch die Marktführer. Unterschiedlich sind nur die Schwerpunktsetzungen. Baker McKenzie, Blomstein, GvW Graf von Westphalen oder Rödl & Partner kommen über das Außenhandelsrecht, Heuking und PricewaterhouseCoopers Legal eher über die Commercial-Praxis. DLA Piper, Gleiss Lutz und Luther stellen das Öffentliche Recht stärker in den Mittelpunkt, teils in Verbindung mit Produktsicherheit und Produkthaftung. Luther hat kürzlich mit einer Quereinsteigerin genau diesen Zugang gestärkt. GvW wiederum kompensiert den Spin-Off des nahezu kompletten Außenwirtschafts-Teams in der neuen Einheit Cattwyk mit dem Zugang einer steuer- und zollrechtlich versierten ESG-Spezialistin von Deloitte Legal.
Doch ob Lieferketten-Compliance auch in Zukunft das Standardangebot in der ESG-Beratung bleiben wird, ist sehr fraglich geworden. Denn anders als 2024, als die EU-Regeln noch weltweit als Goldstandard galten, ist die auf einen Rechtsraum isolierte Beratung zu lieferkettenbezogenen ESG-Themen kaum mehr ausreichend, um die Probleme der Unternehmen zu lösen. Denn seit die US-Regierung mit der gemeinsamen transatlantischen Wertebasis auch die bislang klare Marschrichtung in Sachen ESG gecancelt hat, taugt simple Regeltreue nicht mehr als Strategie.
Als grundlegenden Stimmungswechsel interpretieren die Kanzleien die aktuelle Entwicklung dennoch nicht. Weiterhin wächst das regulatorische Dickicht, in dem Kanzleien wie Redeker Sellner Dahs ihre Mandanten zunehmend auch durch Regelsetzungsprozesse hindurch begleiten. Die Kanzleien sehen weniger einen Rückbau von ESG-Regeln als eine Regionalisierung von Normen und Werten. Bei deutschen und internationalen Unternehmen erzeugt dieser Prozess Unsicherheit darüber, was genau hierzulande, in Europa, Nahost, China und nicht zuletzt den USA zu tun ist, um sich in Lieferketten, Vertrieb und Kommunikation regelkonform zu verhalten und Sanktionsrisiken kleinzuhalten.
Die Stunde der Strategen
In der neuen Welt stehen für die Mandanten heute mehr denn je Risiken im Fokus, die sich aus dieser Regionalisierung ergeben. Das belegt etwa der Trend hin zur separaten Ausschreibung von ESG-Due-Diligences neben der Transaktionsberatung. Kanzleien wie DLA Piper besetzen diese Nische neben ihrem Compliance-Angebot. Den Schwenk zur Risikoberatung macht auch das Themenfeld Diversity/Equity/Inclusion (DEI) deutlich, das inzwischen der Durchquerung eines Minenfelds gleicht und vor allem Freshfields beschäftigt hat. Parallel dazu vertrat die Kanzlei gemeinsam mit Posser Spieth Wolfers & Partners auch RWE vor dem OLG Hamm: Im Fall der Klage eines peruanischen Bauern sah das Gericht eine grundsätzliche Verantwortlichkeit und damit Haftbarkeit des Energieerzeugers, obwohl dieser auf der Basis gültiger Genehmigungen gewirtschaftet hatte. Auch vor dem Hintergrund des jüngsten IGH-Gutachtens zum Klimaschutz ist davon auszugehen, dass NGOs in Zukunft wieder aktiver ESG-Ansprüche einklagen und damit Unternehmen Risiken aussetzen. Damit setzen sich verstärkt die zentralen Governance-Organe auseinander, die wie im Fall eines Kfz-Herstellers auch Kanzleien wie Posser Spieth Wolfers & Partners mandatieren, um weltweit Risiken zu steuern und abzuwehren, die sich aus Regulierung und Prozessen im Bereich Green Claims ergeben. Die führenden Kanzleien im ESG-Feld haben erkannt, dass sie immer auch ihre Litigation-Spezialisten einbinden müssen. Schließlich erwarten Mandanten heute, dass ihre Anwälte sie bei der Analyse der politischen und rechtlichen Risiken je nach Weltregion unterstützen, Präventionsmaßnahmen entwickeln, die immer häufigeren Normenkonflikte bestmöglich auflösen und unternehmerische Entscheidungen mitgestalten.
Die internationalen Wertedifferenzen erfordern es, ESG-Themenfelder aus einer zentralen Governance-Perspektive aktiver miteinander zu verknüpfen, wie dies etwa Clifford Chance, Freshfields, Gleiss Lutz und auch Linklaters bereits tun. Sie tun dies mit einer Aufstellung, die sich langsam als Nonplusultra herauskristallisiert: Öffentlich-Rechtler, Regulierungs-, Corporate- und Litigation-Spezialisten arbeiten eng vernetzt, auch grenzüberschreitend. Linklaters setzt sehr zentral auch auf das Bank- und Finanzaufsichtsrecht und berät besonders viele Mandanten aus diesem Sektor.
Die große Frage ist allerdings, ob es dauerhaft eine auskömmliche Menge strategischer Mandate geben wird, die speziell ESG-Themen betreffen. Freshfields zumindest scheint darauf zu wetten. Die Kanzlei hat gerade eine Partnerin, deren Geschäft zu 50 Prozent auf ESG-Litigation basiert, und eine Counsel ausschließlich für die strategische Beratung zu Lieferketten und ESG ernannt. Keine ganz abwegige Idee, zumal auch Themen wie Korruptionsbekämpfung, KI- und Cyberrisiken oder Investitionen im Verteidigungssektor künftig in den Rahmen der ESG-Beratung fallen könnten. Wichtiger als die rechtlichen Erwartungen, die das Gesetz transportiert, dürften dabei Geschäftsmodelle, Wertedebatten und kulturelle Besonderheiten der für die Mandanten relevanten Kernjurisdiktionen werden.
Die Rankings behandeln Kanzleien, die sich den Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung ganzheitlich widmen. Sie beraten unter anderem im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, insbesondere umwelt- u. produktrechtlich. Schnittstellen ergeben sich vor allem zum Vertriebsrecht, zur Compliance-Beratung u. zum Bank- u. Finanzrecht. Auch Kanzleien mit starkem Standbein in der Transaktionsberatung u. im Gesellschaftsrecht, die viel Erfahrung in Sektoren wie Energie u. Verkehr mitbringen, die derzeit im Zentrum der ESG-Transformation stehen, sind besprochen.