JUVE: Oberste Priorität in der Justizpolitik müsste aus Sicht der Befragten der Bund-Länder-Pakt für den Rechtsstaat haben. Wie gestaltet sich aus Ihrer Sicht die Umsetzung, was würden Sie sich noch wünschen?
Sven Rebehn: Der jetzt besiegelte Rechtsstaatspakt markiert eine politische Trendwende nach vielen Jahren eines verfehlten Sparkurses in der Justiz. Erstmals verpflichten sich Bund und Länder gemeinsam, die drängenden Probleme der Justiz zu beheben und den Rechtsstaat damit nachhaltig zu stärken. Das ist eine gute Nachricht für die Bürger. Der Richterbund wird nun sehr genau darauf achten, dass die beschlossenen 2000 Stellen für Richter und Staatsanwälte sowie das zugesagte Personal im Unterbau bis zum Sommer 2021 in der Justiz ankommen.
Wie kann das gelingen?
Entscheidend ist, dass die Länder die neuen Stellen nun wie vereinbart nach dem Königsteiner Schlüssel untereinander verteilen und jeweils zügig besetzen. Der Pakt muss der Auftakt für eine vorausschauende Personalpolitik im nächsten Jahrzehnt sein. Denn bis 2030 gehen bundesweit etwa 40 Prozent aller Staatsanwälte und Richter in den Ruhestand, in den fünf neuen Bundesländern sind es sogar fast zwei Drittel aller Kollegen.
Ein von mehreren Umfrageteilnehmern spontan geäußerter Wunsch betrifft die Erhöhung der Besoldung, damit die Justiz für jüngere Juristen attraktiv bleibt. Mit den Gehältern in Wirtschaftskanzleien wird es die staatliche Justiz ja aber jedenfalls kaum aufnehmen können. Was wäre aus Ihrer Sicht angemessen?
Die Besoldungspolitik vieler Länder ist immer noch zu kurzsichtig und droht auf Dauer die hohe Qualität der Justiz zu gefährden. Es rächt sich, dass die Tarifabschlüsse für Angestellte im öffentlichen Dienst in der Vergangenheit wiederholt nicht zeit- und wirkungsgleich auf die Richterbesoldung übertragen worden sind. Zudem sind Besoldungsbestandteile wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld überwiegend oder ganz gestrichen worden. Auch im Beihilfebereich hat es immer wieder Kürzungen gegeben. Für Berufseinsteiger mit zwei Prädikatsexamen ist die Justiz heute immer seltener erste Wahl: Wer als junger Volljurist in Unternehmen annähernd das Doppelte und in Großkanzleien mehr als das Doppelte verdienen kann, wie eine Kienbaum-Studie ermittelt hat, der überlegt es sich zweimal. Diese Gehaltslücke kann die Justiz sicher nicht schließen, das durchschnittliche Einstiegsgehalt von etwa 48.000 Euro brutto pro Jahr muss aber spürbar rauf, damit die Justiz halbwegs konkurrenzfähig bleibt.
Ein Hauptkritikpunkt von Richtern und Staatsanwälten betrifft die personelle Ausstattung. Wie macht sich dieser Mangel konkret bemerkbar, und was müsste geschehen, um ihn zu beheben?
Die Staatsanwaltschaften stellen zunehmend Verfahren nach Ermessensvorschriften mit oder ohne Auflagen ein, zudem dauern Strafverfahren insbesondere bei den Landgerichten immer länger. Das sind deutliche Anhaltspunkte für eine überlastete Justiz. Alarmierend ist auch, dass immer wieder dringend Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil die Justiz ihre Strafverfahren nicht in angemessener Zeit erledigen konnte. Das war zuletzt mehr als 50 Mal pro Jahr der Fall. Zudem müssen die Gerichte immer wieder Strafrabatte gewähren, um eine zu lange Verfahrensdauer für den Angeklagten zu kompensieren. In Wirtschaftsstrafverfahren vor den Landgerichten betrifft das im mehrjährigen Durchschnitt fast jeden dritten Fall. Erforderlich ist ein politischer Dreiklang aus mehr Personal, einer besseren technischen Ausstattung und einem vereinfachten Prozessrecht, damit Verfahren wieder schneller zum Abschluss kommen können.
Warum ist in der Umfrage das Urteil über die technische Ausstattung, die die Mehrheit vor fünf Jahren noch in Ordnung fand, ins Negative gekippt – obwohl man ständig über Initiativen zur Digitalisierung der Justiz liest?
Beim Thema Digitalisierung kommt die Justiz trotz aller Initiativen nicht schnell genug voran. Leider haben die Länder die Chance vertan, mit dem Rechtsstaatspakt auch einen großen Wurf bei der Digitalisierung mit dem Bund zu vereinbaren. Eine elektronische Akte, die bundesweit nicht aus einem Guss entwickelt wird, holprige Pilotprojekte mit technischen Problemen und Kinderkrankheiten, dazu veraltete Geräte in vielen Gerichten: Das erklärt die gewachsene Skepsis der Kollegen. Bis Ende 2021 gilt es den Umstieg auf eine sichere elektronische Kommunikation der Justiz mit moderner Technik in allen Gerichten zu bewältigen, ab 2026 muss die E-Akte flächendeckend laufen. Das sind gewaltige Herausforderungen.
Welches sind aus Sicht des Richterbunds die wichtigsten Verbesserungen, die der Bundesgesetzgeber in der laufenden Legislaturperiode realistischerweise noch auf den Weg bringen kann?
Ein wichtiger Punkt ist die Strafprozessordnung. Hier wünschen sich Staatsanwälte und Richter zum Beispiel mehr Möglichkeiten, um missbräuchliche Befangenheits- oder Beweisanträge besser in den Griff zu bekommen, die eine Verhandlung gezielt verschleppen sollen. Wichtig ist zudem, die Ursachen für die seit Jahren rückläufigen Verfahrenszahlen in der Ziviljustiz mit einer Studie zu erforschen, wie es die Bundesjustizministerin angekündigt hat. Muss die staatliche Justiz ihr Angebot an die Bürger überdenken oder geht schlicht die Konfliktbereitschaft der Menschen zurück? Darauf braucht es verlässliche Antworten, um etwaige Hürden beim Zugang zum Recht abzubauen. Zu prüfen ist auch, inwieweit die Justiz attraktiver für international tätige Unternehmen werden kann – Stichwort Commercial Courts. Der Brexit bietet meines Erachtens jetzt die Chance, den Rechtsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken.
Die Fragen stellte Marc Chmielewski.