JUVE: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hält TTIP für gescheitert. Die Kanzlerin widerspricht vorsichtig. Wer hat recht?
Stephan Wilske: Ich fürchte, Herr Gabriel. TTIP ist tot. Im Moment fehlt einfach der politische Wille, so etwas durchzusetzen.
Welche Rolle spielt der Streit über den Investitionsschutz? Die USA favorisieren das bestehende Modell internationaler Schiedsgerichte. Europa fordert ein System mit hauptamtlichen Richtern.
Das europäische Modell bedeutet eine Renationalisierung der Konfliktlösung, das ist vielen gar nicht bewusst. Man sieht das beim bereits verhandelten Abkommen mit Vietnam. Zum Gericht sollen fünf Europäer, fünf Vietnamesen und fünf Richter aus neutralen Ländern gehören.
Was ist daran problematisch?
Vietnam ist ein autoritärer Einparteienstaat, die benannten Richter werden verdiente Funktionäre sein. Ob sie juristisch geeignet sind, ist zweitrangig.
Aber die USA sind ja nicht Vietnam.
Nein, aber auch auf EU-Seite wird es Proporzdenken geben, egal mit welchem Land ein Gerichtshof vereinbart wird. Fünf Richterstellen für 28 Staaten, da stellt sich sofort die Frage, wer denn mal wann dran ist. Spanier und Italiener könnten sagen, dass sie derzeit am häufigsten verklagt werden und daher einen besonderen Anspruch auf Posten haben. So oder so ginge es bei der Besetzung von Richterstellen nicht um Kompetenz, sondern um Politik. Man hat dies beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, aber auch beim EuGH oft genug gesehen. Das wäre ein Rückschritt gegenüber dem bestehenden System.
Ist es nicht verständlich, dass viele fürchten, internationale Konzerne könnten sich demokratisch gewählte Gesetzgeber mit Schiedsklagen gefügig machen?
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das tatsächlich passiert. Dass diese Sorge so verbreitet ist, sagt eher etwas über den Zeitgeist. Es spricht daraus eine extreme Staatsgläubigkeit: Was Staaten tun, ist gut und richtig; was Wirtschaftsunternehmen tun, ist verdächtig. Das ist seltsam widersprüchlich, denn gerade die Leute, die bei Investitionskonflikten gern alle Macht bei den Staaten sähen und als neues staatliches ‚Grundrecht‘ das ‚right to regulate‘ propagieren, akzeptieren es häufig nicht, wenn Projekte wie Stuttgart 21 demokratisch beschlossen und vom Staat durchgesetzt werden. Im Übrigen klagen nicht nur Konzerne. Gerade kleinere Unternehmen und Einzelpersonen sind oft die Leidtragenden bei staatlichen Willkürakten.
Wird TTIP am Investitionsschutz-Streit scheitern?
Nein, der Investitionsschutz ist nur einer von vielen Gründen. Selbst wenn die Amerikaner mitmachen würden beim Investitionsgerichtshof, blieben genügend Punkte, an denen das Abkommen scheitern kann. Dass es letztlich nicht um die Schiedsgerichte geht, sieht man an CETA. Die Kanadier haben sich im Gegensatz zu den Amerikanern vollständig auf einen Investitionsgerichtshof à la EU eingelassen – und trotzdem gibt es massive Proteste gegen das Abkommen.
Das Gespräch führte Marc Chmielewski.