Interview zu Hinweisbeschlüssen im VW-Komplex

„Davon wird der BGH ohne Not nicht mehr abrücken“

Die Praxis der Hinweisbeschlüsse lässt Klägeranwälte und Verbraucher im Dieselskandal jubeln. Aber was genau bedeuten die Hinweisbeschlüsse prozessrechtlich und mit Blick auf die Erfolgsaussichten etwa für Klagen, die VW vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorwerfen? Darüber sprach JUVE mit Dr. Christoph Thole, Professor für Deutsches und Europäisches Zivilprozessrecht an der Universität zu Köln.

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Christoph Thole
Christoph Thole

JUVE: Nach dem Bundesgerichtshof hat nun auch das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dieselskandal einen Hinweisbeschluss veröffentlicht – eine eher unübliche Praxis. Wie ordnen Sie dieses Vorgehen ein?
Christoph Thole: Mich überrascht die Veröffentlichung nicht. Immerhin unterliegt die Rechtsprechung seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1997 bei Entscheidungen von allgemeinem Interesse sogar einer grundsätzlichen Publikationspflicht. Und angesichts der Vielzahl von anhängigen Klagen im VW-Komplex gibt es mit Sicherheit ein solches allgemeines Interesse, selbst wenn es sich nur um einen Hinweisbeschluss handelt. Es erscheint mir auch sinnvoll, dass auf diese Weise lenkend auf die Untergerichte eingewirkt wird, um divergierende Entscheidungen zu vermeiden. Freilich dürfen die Untergerichte Besonderheiten ihres jeweiligen Einzelfalls nicht ausklammern.

Spielt es auch eine Rolle, dass sich die Richter über die erkauften Vergleiche ärgern?
Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sich die Gerichte, vor allem die Obergerichte, daran stören. Denn es bedeutet, dass sie nach vielen Stunden Arbeit und Fleiß ihre Rechtsauffassung nicht in ein abschließendes Urteil gießen können, das dann auch für Rechtssicherheit sorgen könnte. Das mag man bedauern, ist aber im Ergebnis richtig so, weil die Parteien den Prozess in der Hand haben.

Ist es denkbar, dass es zwischen den Gerichten mit Blick auf die Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen Absprachen oder ein konzertiertes Vorgehen gibt?
An Absprachen oder ein konzertiertes Vorgehen glaube ich nicht, ich wüsste auch gar nicht, worüber man sich abstimmen sollte. Das klingt mir auch zu sehr nach Verschwörung. Etwas anderes ist, dass sich die Gerichte und vor allem die Kammern oder Senate desselben Gerichts mitunter inhaltlich und fachlich über die VW-Fälle austauschen; das wiederum ist zu begrüßen.

Was bedeuten die Hinweisbeschlüsse für die weitere Rechtsprechung in dem Verfahren, etwa für Anlegerklagen im Dieselkomplex?
Die einfache Antwort lautet: nichts. Prozessrechtlich gibt es keine Bindung für Klagen anderer Parteien mit anderem Streitgegenstand. Auch auf die Musterfeststellungsklage haben die Hinweisbeschlüsse keine prozessrechtliche Auswirkung. Davon zu unterscheiden ist das faktische Gewicht, das die Äußerungen des BGH haben könnten, soweit es auf die jeweils konkret behandelten Themen ankommt.

Warum sprechen nach den Hinweisbeschlüssen trotzdem einige von einer „Vorentscheidung im Badischen“?
Wenn der BGH einen entsprechenden Hinweisbeschluss erlassen hat, hat das natürlich schon einmal ein Gewicht. Der BGH wird nicht ohne Not von seiner dort geäußerten Rechtsauffassung abrücken. Das betrifft vor allem die Einschätzung zum Vorliegen eines Sachmangels und zur Unmöglichkeit der Nacherfüllung. Ich würde allerdings davor warnen, die Hinweise vorschnell auf Klagen gegen VW auf der Grundlage von Paragraf 826 BGB zu erweitern, also Fälle, in denen der Händler nach Kaufrecht und VW wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach Deliktrecht in Anspruch genommen wird.

Was allerdings einige Klägeranwälte als ihren Weg beschreiten. Wo sehen Sie das Problem?
Ich halte die Linie, die einige Untergerichte und zuletzt das OLG Köln in seinem Hinweisbeschluss vom 29. November 2018 eingezogen haben, für wenig überzeugend. Mit der Annahme einer sekundären Darlegungslast von VW lässt sich nicht kurzerhand ohne Beweisaufnahme ein Vorsatz „herbeizaubern“. Das wird zudem den damit verbundenen materiell-rechtlichen Fragen etwa zur Wissenszurechnung bei juristischen Personen kaum gerecht.

Gäbe es neben der Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen auch andere Wege, um zügig Rechtsfortbildung zu betreiben?
Viele andere Möglichkeiten sehe ich da nicht. Am besten geeignet wäre natürlich ein abschließendes Revisionsurteil des BGH …

… das VW aber zu verhindern versucht.
Richtig. Zwar verlangt der Gesetzgeber seit 2014 vom Revisionsbeklagten, der Rücknahme der Revision nach erfolgter mündlicher Verhandlung einzuwilligen – diese Gesetzesänderung in der Zivilprozessordnung sollte eine späte Rücknahme der Revision verhindern. Liegt es aber gerade – wie wohl bei den Abgasfällen – im Interesse der Beklagten, eine Revisionsentscheidung zu verhindern, läuft der Zweck der Gesetzesänderung ins Leere. Die Beklagte willigt gerne ein, wenn die Klage zurückgenommen wird. Sie kann weiterhin den klagenden Autokäufer durch ein großzügiges Vergleichsangebot zur Rücknahme der Revision bewegen. Letztlich ist daran auch nichts Verwerfliches. Der Kläger kann entscheiden, ob er seine Klage aufrecht erhält oder nicht – und die Justiz ist nicht dazu da, über einen Rechtsstreit zwischen den Parteien zu entscheiden, wenn die sich geeinigt haben.

Das Interview führten Martin Ströder und Sonja Behrens.

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