„Die große politische Polarisierung der US-Gesellschaft macht es auch für Großkanzleien schwieriger, unpolitisch zu bleiben“, sagt Martin Seyfarth von WilmerHale. Der heutige Partner stieg vor 22 Jahren im Washingtoner Büro der US-Kanzlei ein. Er hat die Public-Policy-Group in Deutschland mit aufgebaut, über seinen Schreibtisch gehen alle politisch sensiblen Mandate der Kanzlei in Deutschland und Brüssel. „Gerade weil WilmerHale historisch eher als den Demokraten nahe stehend angesehen wird, achten wir peinlich genau darauf, dass keinem unserer Anwälte ein Nachteil daraus entsteht, dass er sich offen zu den Republikanern bekennt.“
„Mit einer Kanzlei wie Deiner will ich nicht zusammenarbeiten“
Trotzdem bleibt die Nähe zu den Demokraten nicht ohne Folgen für das Geschäft. Robert Mueller, der als Sonderermittler Trumps Russland-Verbindungen aufklären sollte, ist WilmerHale-Partner. „Der frühere US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, hat mir einmal im Zusammenhang mit Bob Mueller knallhart gesagt: Mit einer Kanzlei wie Deiner, die so hart gegen meinen Präsidenten vorgeht, will ich nicht zusammenarbeiten“, erzählt Seyfarth.
Dass die rein anwaltliche Arbeit für oder gegen einen der Präsidentschaftskandidaten politisch auf Kanzleien abfärben kann, mussten auch andere Kanzleien erfahren. Es gibt einen Fall, in dem eine Kanzlei in Deutschland ein Mandat einer Stammandantin nicht bekommen hat – ausdrücklich mit Verweis auf deren Ruf als Trump-Kanzlei.
„Es wird weniger über Politik gesprochen als früher“
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass viele versuchen, sich so gut wie möglich herauszuhalten. „Das politische Klima in den Ballungsräumen ist gemäßigter“, sagt Dr. Sascha Leske, Partner bei Noerr in New York. „Das mag ein Grund dafür sein, dass nach unserem Eindruck die Stimmungslage in den Büros der Kanzleien wenig von politischen Auseinandersetzungen beeinflusst wird.“
Dr. Olaf Christiansen, Vorstand der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung und Senior Vice President Corporate Legal Department von Bertelsmann, betont: „Als Verein sind wir sowieso nicht politisch. Wir versuchen, uns neutral zu verhalten und diskutieren höchstens die rechtlichen Aspekte politischer Entscheidungen.“ Kann man das immer so klar trennen? „Ich persönlich bemerke schon eine gewisse Zurückhaltung bei den amerikanischen Anwälten“, sagt Christiansen. „Es wird weniger über Politik gesprochen als früher.“
In vielen Partnerschaften schwelen Konflikte
Das berichten hinter vorgehaltener Hand viele Partner international tätiger US-Kanzleien im Gespräch mit JUVE. „Neutral zu sein, das ist in den USA zuletzt immer schwieriger geworden“, sagt einer. In vielen US-Kanzleien sei es üblich, dass Policy-Maker in die Kanzlei und wieder zurück wechseln – damit gehe es zwingend einher, dass Demokraten und Republikaner in der Organisation aufeinandertreffen. „Es versuchen aber alle, so diplomatisch wie Anthony Fauci aufzutreten. Das geht ganz gut, indem man sich ins Fachliche flüchtet und einfach diskutiert, was in unterschiedlichen Szenarien in einzelnen Rechtsgebieten passiert.“
Ein Partner einer anderen in Deutschland vertretenen US-Kanzlei sagt: „Wir haben es uns in der Amtszeit von Trump zunehmend abgewöhnt, ernsthaft über Politik zu sprechen – das Thema ist für viele zu persönlich geworden.“ Es sei durchaus möglich, dass schwelende Konflikte in der Partnerschaft einmal aufbrechen: „Kanzleien werben damit, dass sie gegen Hass und Rassismus und für Diversity und Völkerverständigung sind. Wenn man diesen Anspruch ernst nimmt, kann man aktuell eigentlich kaum sagen: Wir sind neutral, uns ist egal, wer US-Präsident wird.“
„Die intellektuelle Elite muss Amerika von Trump befreien“
Auch WilmerHale-Partner Seyfarth beobachtet, dass bei aller politischen Zurückhaltung der Kanzlei als Organisation viele den Drang verspüren, sich zu positionieren – und sei es indirekt durch Taten statt durch große Bekenntnisse. „Viele Anwälte haben ein schlechtes Gewissen, weil sie erkennen: Sie als Teil der intellektuellen Elite haben durch Arroganz und Ignoranz einen Teil zu der herrschenden Polarisierung beigetragen“, sagt Seyfarth. „Deshalb sind sie jetzt gefordert, Amerika von Trump zu befreien.“
Bei WilmerHale äußere sich das zum Beispiel in einem großen Run auf Pro-Bono-Mandate, mit denen die Kanzlei sich in Swing-States wie North Carolina und Pennsylvania für Fairness und die rechtliche Absicherung der Briefwahl einsetzt. WilmerHale hat dabei zwei Siege vor dem State-Supreme Court und einem Bundesgericht errungen. (Christiane Schiffer, Marc Chmielewski, Martin Ströder)