JUVE: KI, Legal Tech und Service Center – haben die klassischen Billable Hours ausgedient?
Tamay Schimang: So einfach ist das leider nicht. Vor allem bei der generativen KI kann aktuell niemand sagen, wie sich der Markt tatsächlich entwickeln wird.
KI-gestützte Beratung kann natürlich perspektivisch zu deutlich mehr Flexibilität bei der Abrechnung führen – muss es aber nicht. Die Einführung der E-Mail hat den Menschen auch unglaublich viel Zeit eingespart und ist zum Standard geworden. Keiner würde auf die Idee kommen, die eingesparte Zeit umzurechnen oder einzupreisen. Vielleicht wird KI zu einem ähnlichen Standard.
Wie sieht es beim Einsatz von Legal Tech aus?
Legal Tech ist mittlerweile deutlich weiter – wir wissen, was möglich ist. Daher hat der Einsatz von Legal Tech die Abrechnungsweise von Kanzleien und die Erwartungshaltung von Unternehmen bereits beeinflusst.
Ein gutes Beispiel ist der Einsatz von Tools bei Massenverfahren wie etwa im Dieselkomplex. Hier durfte ich selbst erfahren, wie der Einsatz von Datenbanken und Legal Tech den Arbeitsaufwand kalkulierbarer machen und damit auch die Verbindlichkeit bei Preisen schrittweise steigern kann.
Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass die Billable Hour an sich obsolet ist. Sie stellt weiterhin einen wesentlichen Aspekt in einer differenzierteren Abrechnungssystematik dar. Aus meiner Inhouse-Zeit weiß ich, dass die interne Fakten- und Datenlage häufig nicht ausreichend ist, um selbst einzuschätzen, welcher zeitliche Aufwand erforderlich ist. Insofern gliedern sich auch viele große Projekte in zwei (oder mehr) Phasen: Am Anfang gibt es eine Findungsphase, in der am sinnvollsten nach Stunden oder z.B. Caps abgerechnet wird. In den sich daran anschließenden Phasen können dann – basierend auf den Erkenntnissen der Findungsphase – Produkte bzw. Tech-Tools eingesetzt und auch Fix- oder Paketpreise vereinbart werden.
Es kommt also auf den jeweiligen Fall an?
Definitiv. Und ich habe selten erlebt, dass eine Kanzlei gesagt hat: „Wir rechnen nur nach Billable Hours ab, alles andere machen wir nicht.“ Bei den meisten Kanzleien hat ein Umdenken stattgefunden, es gilt für Großkanzleien genauso wie für Boutiquen und Mittelstandsberater – die Flexibilität steigt stetig – aber es gilt stets: Nicht jeder scheinbar vergleichbare Fall kann über den gleichen Kamm geschoren werden.
Welche Rolle spielen die Partner beim Thema Billable Hours?
Mittlerweile gibt es in fast jeder Kanzlei Initiativen für flexible Abrechnungsmodelle, genauso wie für den Einsatz von Legal Tech und teilweise – wie bei EY Law – auch Legal Operations. Am Ende hängt es aber nicht nur am federführenden Partner, sondern vor allem an Parametern wie der verfügbaren Datenqualität oder der vorhandenen Prozessreife.
Bremsen Billable Hours die Innovationskraft von Kanzleien?
Billable Hours nehmen im Innovationsdiskurs eine zu wichtige Stellung ein. Klar: Würde eine Kanzlei ausschließlich nach Stunden abrechnen, wäre etwa der Einsatz von Tools schwierig abzurechnen und die Innovationskraft vermutlich gehemmt. Aber die wenigsten Kanzleien hängen auf Gedeih und Verderb an der Billable Hour. Man darf bei dem Diskurs aber auch nicht vergessen, dass in sehr vielen Sektoren nach Stunden oder Tagen abgerechnet wird – selbst die ITler, die unsere Legal-Tech-Tools entwickeln und implementieren, rufen Tagessätze und nur selten Fixpreise auf.