Es ist in der langen Geschichte von Gleiss überhaupt erst zweimal vorgekommen, dass ein Kartellrechtspartner die Kanzlei verlassen hat, um zur Konkurrenz zu wechseln. Das waren Dr. Hans-Jörg Niemeyer (zu Hengeler Mueller) und Dr. Werner Berg (zu Crowell & Moring) – und diese Wechsel sind 20 Jahre her. Brinkers Abgang, dessen genauer Termin noch nicht feststeht, ist aber vor allem deshalb einschneidend, weil er die Praxis als Leiter über viele Jahre geprägt hat.
Pionierverfahren und riesige Fusionskontrollen
Gleiss gehört seit Jahrzehnten im Kartellrecht zur Marktspitze, Brinker begann seine Karriere dort 1993. Heute gehören mehr als 50 Anwältinnen und Anwälte zur Praxis – darunter nach Brinkers Weggang noch 11 Partner. Die Praxis hat in vielen Grundsatzfällen an der Entwicklung des Rechtsgebiets mitgewirkt.
Das gilt auch für Brinker selbst: Mit dem Brüsseler Partner Dr. Ulrich Soltész etwa hat er 2010 für Infineon einen Bußgeldrabatt in einem Kartellverfahren zu Speicherchips erreicht – es war der erste Anwendungsfall der sogenannten Settlement-Richtlinie zur einvernehmlichen Verfahrensbeendigung von EU-Verfahren. Immer wieder hat Brinker zudem komplexe internationale Fusionskontrollen gesteuert – darunter an der Seite des Schweizer Konzerns Syngenta dessen 43 Milliarden Dollar schwere Übernahme durch ChemChina im Jahr 2017. In den vergangenen Jahren bildete die Arbeit für Apple und den Facebook-Mutterkonzern Meta in Marktmachtmissbrauchsverfahren des Bundeskartellamts einen Schwerpunkt seiner Arbeit.
Beste Kontakte in Politik und Behörden
Ein Ausweis von Brinkers großem Renommee ist auch seine Wahl zum Vorsitzenden der Studienvereinigung Kartellrecht Ende 2018. Die Institution verzahnt Wissenschaft und Praxis, ihre Vorstandsmitglieder pflegen weltweit Kontakt zu Entscheidern in Politik und Behörden. Es dürften auch diese besonderen Kontakte sein, die einen Anwalt wie Brinker so interessant für ambitionierte, konkurrierende Kartellrechtspraxen machen.
Intern steht Brinker für einen gelungenen Generationswechsel. Die Praxisentwicklung über den traditionellen Schwerpunkt im Stuttgarter Stammbüro hinaus nach München, Düsseldorf und Brüssel hat er maßgeblich begleitet. Dass die mittlerweile von der Münchner Partnerin Dr. Petra Linsmeier geleitete Kartellrechtspraxis durch seinen Weggang nicht nachhaltig geschwächt wird, ist auch ein Ergebnis von Brinkers konsequenter Aufbauarbeit.
„Große Verdienste um unsere Sozietät“
Auch die beiden Managing-Partner Dr. Ralf Morshäuser und Dr. Johann Wagner betonen in einem Statement: „Ingo Brinker hat unsere Kartellrechtspraxis in den vergangenen Jahrzehnten mitgeprägt und sich um unsere Sozietät große Verdienste erworben.“
Im vergangenen Jahr war Brinker von vielen als Kandidat für die Nachfolge von Dr. Christian Cascante an der Spitze des Sozietätsrats gehandelt worden. Letztlich wurde aber Dr. Michael Arnold, bis dahin einer von zwei Managing-Partnern der Kanzlei, in das Amt gewählt.
Große Ambitionen bei White & Case
In der Kartellrechtspraxis von White & Case trifft Brinker auf ein Team, dessen deutsche Praxis eine durchaus wechselvolle Geschichte hinter sich hat. So verließen die Kanzlei seit 2016 mehrere Partner in Richtung Allen & Overy, DLA Piper und McDermott Will & Emery.
Andererseits holte White & Case Ende 2018 von Cleary Gottlieb Steen & Hamilton ein junges Team um den Düsseldorfer Partner Dr. Tilman Kuhn. Dieses rückte nicht nur die internationale Integration, sondern auch die fachübergreifende Vernetzung innerhalb der deutschen Büros strategisch in den Mittelpunkt und knüpfte etwa Beziehungen zu Konzernen wie E.on oder Nestlé.
Auch von Kirkland kommt ein Quereinsteiger
Zuletzt gab es weitere Ausbauschritte der deutschen und europäischen Praxis. In London wechselte im vergangenen April der deutschsprachige Kartellrechtspartner Michael Engel von Kirkland & Ellis zu White & Case. Zum Jahreswechsel wurde zudem der Düsseldorfer Counsel Thilo Wienke zum Partner ernannt. Insgesamt umfasst das Team nun 6 Partner in den deutschen Büros und Brüssel.
Brinkers Arbeit für Silicon-Valley-Unternehmen wie Meta oder Apple bietet thematisch Anknüpfungspunkte zu seiner neuen Kanzlei. Auch White & Case pflegt über ihr Brüsseler Büro und die internationale Praxis Mandatsbeziehungen zu namhaften Tech-Größen wie Amazon, Whatsapp und Google.