Furcht vor der Dealflaute

Transaktionspraxen: Dämpfer oder Beginn eines Absturzes?

Krieg in Europa, teure Energie, hohe Inflation: Die Angst vor einer großen Rezession ist auch im Transaktionsmarkt sichtbar. Das dritte Quartal ist das schwächste seit Langem. Wie schätzen Top-M&A-Praxen die Lage ein? Ein Streifzug zwischen Hoffen, Bangen und Zweckoptimismus.

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Das Gesamtbild in diesen Tagen ist erstaunlich widersprüchlich: Das Geschäft bricht dramatisch ein, sagen die einen. Wir spüren noch nichts, sagen die anderen. Fakt ist: Insgesamt lief das erste Halbjahr 2022 noch erstaunlich gut. Eine Studie von CMS und Mergermarket kommt zu dem Ergebnis: In Europa erreichte das Dealvolumen insgesamt 529,2 Milliarden Euro – und damit ein Prozent mehr als im bereits ungewöhnlich starken Vergleichszeitraum 2021.

Nur zu Pandemiebeginn gab es ein schlechteres Quartal

Beunruhigender wird es, wenn man sich das dritte Quartal ansieht. Bezogen auf den weltweiten M&A-Markt kommt Bloomberg auf 504 Milliarden Dollar Gesamtvolumen – halb so viel wie vor einem Jahr und der schlechteste Quartalswert seit 2017, mit Ausnahme des ersten Corona-Quartals 2020.

Oliver Felsenstein

Die Frage ist nun: Sehen wir einen Dämpfer oder den Beginn eines Absturzes? Oliver Felsenstein, Leiter der weltweiten Private-Equity-Praxis von Latham & Watkins, gibt sich optimistisch. Mit Blick auf die deutsche Praxis sagt er: „Wir hatten ein sehr starkes erstes Halbjahr und auch für das Gesamtjahr erwarten wir das zweitbeste Ergebnis, das wir je in Deutschland hatten.“ Bei Latham rechne man nicht damit, dass der Abschwung nachhaltig ist. „Im Gegenteil, wir sind äußerst optimistisch, was den deutschen Markt betrifft – auch und gerade für das Private-Capital-Geschäft.“

„Deals werden auf die lange Bank geschoben“

Zwar betont man auch bei Sullivan & Cromwell, es gebe nach wie vor großes Interesse an Transaktionen – „insbesondere auch im Public M&A, wo aufgrund gesunkener Aktienkurse teilweise schon Opportunitäten gesehen werden“, berichtet Dr. Carsten Berrar, Partner in der Kanzlei. Er gehört zu den erfahrensten Spezialisten für öffentliche Übernahmen.

Carsten Berrar

Was Berrars Team allerdings beobachtet: „Die Anzahl der tatsächlich bis zum Signing und Closing geführten Transaktionen nimmt ab.“ Insbesondere das ECM-Geschäft habe sich ab Mai deutlich abgeschwächt. „Zahlreiche Transaktionen, an denen wir bis dahin gearbeitet haben, sind auf das Jahr 2023 verschoben“, berichtet Berrar.

„Finanzierungen werden schwieriger“

Linklaters blickt unter anderem durch die Arbeit für VW im Zusammenhang mit dem Porsche-Börsengang auf Monate hoher Auslastung zurück. Dr. Tim Johannsen-Roth, Co-Leiter der deutschen Corporate/M&A-Praxis, betont: „Wir sehen aktuell noch keine fundamentale und breitflächige Verlangsamung des Transaktionsgeschäfts.“ Aber klar sei: „Unsicherheit belastet strategische Entscheidungsprozesse immer.“

Ralph Drebes

Auch Johannsen-Roths Partner-Kollege Dr. Ralph Drebes, Leiter der deutschen Private-Equity-Praxis, beobachtet wachsende Unsicherheit: Investoren täten sich schwerer damit, Unternehmen zu bewerten, und auch über die Verfügbarkeit und Bedingungen der Finanzierung herrscht mehr Unklarheit. „Wir beobachten daher, dass weniger der üblichen und standardisierten Auktionsprozesse gestartet werden“, sagt Drebes. „Stattdessen warten Investoren ab oder führen bilaterale Diskussionen mit einem Kaufinteressenten.“

„Strategische Großdeals bisher krisenresistent“

Thomas Krecek

Vorsichtig äußert sich Dr. Thomas Krecek, Corporate-Praxisleiter für Kontinentaleuropa bei Clifford Chance. „Wir würden nicht von Abschwung sprechen, eher von einem Abschwungsrisiko.“ Die ersten drei Quartale seien jedenfalls gut verlaufen. „Insbesondere strategische Großtransaktionen und Fusionen sind von den makroökonomischen Entwicklungen jedenfalls derzeit noch nicht wesentlich beeinträchtigt.“ In Sektoren wie Infrastruktur, Healthcare und Tech gebe es derzeit sogar besonders viel Transaktionsgeschäft.

Allerdings: „Wir nehmen wahr, dass auch bei ‚marktgängigen‘ Assets Verkäufer mitunter den Verkaufsprozess um einige Monate verschieben. Sie rechnen momentan mit situationsbedingten Kaufpreisabschlägen – und die möchten sie vermeiden.“ Ein Rückgang des Transaktionsgeschäfts in Deutschland sei bisher vor allem im Bereich Real Estate zu beobachten.

„Weniger verhandeln, dafür intensiver“

Andreas Hoger

Sanktionen, schärfere Investitionskontrollen und Kartellprüfungen, gestörte Lieferketten – all das macht Deals zäher. Dr. Andreas Hoger von Hengeler Mueller hat den Eindruck: „Insgesamt werden Transaktionen im Krisenumfeld zunehmend komplexer und aufwändiger.“ Das erhöhe wiederum die Vorsicht von Käufern. „Oft wird mit weniger aktiven Interessenten deutlich intensiver verhandelt, um kreative vertragliche Lösungen zu finden.“ Thomas Meurer, ebenfalls Hengeler-Partner, verweist auf die alte Wahrheit: „Wie immer gilt: Strategisch sinnvolle Transaktionen wird es auch in einem schwierigeren Finanzierungs-, Zins- und Wettbewerbsumfeld geben.“

Bei King & Wood Mallesons macht sich die Zurückhaltung ausländischer Investoren bemerkbar, etwa aus China. Bei grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen sei das Neugeschäft „derzeit überschaubar, sagt Private-Equity- und M&A-Partner Markus Herz. Besser laufe es noch bei Small- und Mid-Cap-Deals. Herz glaubt, auch mit Blick auf Akquisitionsfinanzierungen: „Bevor der Zins-Peak nicht erreicht ist, wird sich der Transaktionsmarkt weiter nur seitwärts entwickeln, gegebenenfalls mit fallender Tendenz.“

Die Münchner Sozietät GLNS berichtet, es würden zwar teilweise Transaktionen geschoben, abgebrochen oder die Bewertungen angepasst, aber insgesamt sei man mit dem Verlauf des Jahres bislang sehr zufrieden. Und zu dieser Einschätzung kommt auch Boris Dürr, Co-Leiter der Praxisgruppe Corporate/M&A von Heuking Kühn Lüer Wojtek: „Es wird kein absolutes Rekordjahr werden, aber es bleibt auf jeden Fall ein sehr ordentliches Jahr, sowohl was die Anzahl der Transaktionen, als auch das Volumen angeht.“

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