Als Baker vorige Woche Dienstag bekanntgab, man werde sich nach 33 Jahren aus Russland zurückziehen, war dies der traurige Höhepunkt einer Serie von angekündigten Büroschließungen. Nachdem Linklaters als erste Kanzlei das Aus für ihr Moskauer Büro bekanntgab, folgten innerhalb weniger Tage nahezu alle internationalen Kanzleien.
„Baker McKenzie war die erste globale Anwaltskanzlei, die in Russland registriert wurde, als das Land noch Teil der Sowjetunion war“, heißt es in der Mitteilung. Die Kanzlei beschäftigt mehr als 260 Mitarbeiter in Russland, darunter 130 Anwältinnen und Anwälte.
McDonald’s geht – McDonald’s-Berater auch
Dentons-CEO Elliott Portnoy schrieb einen Tag zuvor: „Wir haben mehr als 30 Jahre Zusammenarbeit und Freundschaft mit unseren Kollegen in Russland genossen, die weder für diese Krise verantwortlich sind noch für die Umstände, die zu dieser Entscheidung geführt haben.“ Bei Dentons erzählt man sich gern die Geschichte, dass es Anwälte der Vorgängerkanzlei Salans waren, die einst zum Markteintritt von McDonald’s beraten haben. Das erste Restaurant der Kette wurde am 31. Januar 1990 noch zu Sowjetzeiten am Puschkin-Platz in Moskau eröffnet.
In vielen Statements von Kanzleien, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Russland vertreten sind, klingt Bitterkeit durch – und eine gewisse Ungläubigkeit, dass diese Geschichte nun tatsächlich innerhalb von nur ein paar Tagen ein derart abruptes Ende findet. Denn auch wenn das Leid der Menschen in der Ukraine und die vielen Toten dort natürlich ein anderes Gewicht haben: Auch dass Tausende von Menschen aus internationalen Kanzleien in Moskau beruflich plötzlich vor dem Nichts stehen, ist eine beklemmende Situation, die noch vor einem Monat niemand für möglich gehalten hätte.
Am 24. Februar, dem Tag der Invasion, war den meisten noch nicht klar, dass es auf diesen Schritt hinauslaufen würde. Aus einer der Magic-Circle-Kanzleien ist zu hören: „In den ersten Tagen nach dem russischen Angriff war die Zukunft des Moskauer Büros nicht das drängendste Thema, denn das lautete: Welche Mandate hat welcher Partner – was machen wir überhaupt alles, was mit Bezug auf diesen Krieg relevant ist?“
Mandate aus der Grauzone
Dabei war die Beratung von Unternehmen, die neu auf den Sanktionslisten auftauchten, vielleicht noch das kleinere Problem – denn immerhin ist der Fall klar: Hier muss die Arbeit sofort eingestellt werden. „Das ist den Mandanten klar, und sie gehen professionell damit um“, sagt ein russischer Anwalt einer britischen Kanzlei, der seit mehreren Jahren internationale Unternehmen in Moskau berät.
Schwieriger ist die Entscheidung dort, wo nicht harte rechtliche Vorgaben die Entscheidung bestimmten, sondern unter hohem Druck komplexe Abwägungen getroffen werden mussten. „Russische Mandanten, die auf keiner Sanktionsliste stehen, reagieren mitunter empört, wenn sie fallengelassen werden, nur weil sie Russen sind“, sagt der Moskauer Anwalt. Genau dies geschah in vielen Fällen, weil die meisten Kanzleien beim Kappen ihrer Russlandbeziehungen über das rechtlich erforderliche Maß hinausgehen.
Internationale Kanzleien bewegen sich damit in einer schwierigen Grauzone – das zeigt sich auch darin, dass es in zahlreichen Statements heißt, man werde „so schnell wie möglich“ aus dem Russlandgeschäft aussteigen. Und das bedeutet: Manchmal geht es eben nicht über Nacht. Das Berufsrecht verbietet es in vielen Ländern, Mandate „zur Unzeit“ zu beenden, Mandanten also im Stich zu lassen.
Sicherheit oder Reputation? Das Dilemma der Kanzleien
Andererseits stieg in den Tagen nach Beginn der Invasion unaufhörlich der Druck, auch die Arbeit für nicht sanktionierte russische Unternehmen zu beenden. Reputationsrisiken beschäftigten viele Kanzleien nicht nur mit Blick auf Mandate. Ein deutscher Partner einer US-Kanzlei mit Büro in Moskau bringt das Dilemma auf den Punkt, in dem viele in den ersten Tagen der Invasion steckten: „Wenn du Russland nicht öffentlich verurteilst, stehst du als feige und gleichgültig da – aber wenn du Russland öffentlich verurteilst, gefährdest du vielleicht deine Kollegen in Moskau.“ Wem sei damit geholfen, wenn nach öffentlichen Kanzlei-Statements die Polizei im Moskauer Büro steht und die Mitarbeiter verhört?
Am Abend des 4. März gibt Linklaters als erste internationale Kanzlei bekannt, dass sie ihr Moskauer Büro schließen wird. In den folgenden Tagen überschlagen sich die Ereignisse, bis schließlich am 15. März Baker als letzte der großen internationalen Kanzleien diesen Schritt ankündigt. „Die Sache hat in dieser Woche eine wahnsinnige Eigendynamik bekommen“, sagt der Managing-Partner einer Kanzlei mit Moskauer Büro. „Niemand wollte der erste sein, der den Standort aufgibt, und niemand wollte der letzte sein.“
Die meisten Kanzleien versichern in ihren Abschiedsmitteilungen sinngemäß: Wir werden unsere Mitarbeiter in Moskau weiter unterstützen. „Das schreibt sich schnell als Zeile in einem offiziellen Statement“, sagt ein russischer Anwalt, der für eine britischen Kanzlei in Moskau tätig ist. „Aber es ist sehr schwierig zu sagen, was das konkret heißt.“
Ein Wort, viele Bedeutungen: „Unterstützung“
Grundsätzlich haben Kanzleien, die ihr Büro schließen, mehrere Möglichkeiten, ihren Leuten zu helfen, vor allem: Geld, Bürowechsel, Hilfe zum Neustart. Nach allem, was im Markt zu hören ist, verhalten sich Kanzleien sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht vom Rückzug Hals über Kopf ohne finanzielle Unterstützung oder Perspektive für die Mitarbeiter bis hin zu äußerst großzügigen Regelungen. Die meisten haben noch keinen klaren Plan.
„Wir sprechen mit jedem Mitarbeiter individuell, was wir tun können“, heißt es aus einer US-Kanzlei. „Dass die eine großzügige Abfindung erhalten, ist ohnehin klar – aber nicht alle wollen und können woanders arbeiten. Ich schätze, dass wir am Ende ein Drittel unserer Anwälte in Büros außerhalb Russlands unterbringen können.“
„Nach Moskau wird zehn Jahre niemand zurückkehren“
Ein Managing-Partner einer internationalen Kanzlei sagt: „Klar könnten wir unsere russischen Anwälte mit Geld zuschütten, aber wie nachhaltig ist das?“ Die Hauptaufgabe sei doch nun, über den Tag hinaus zu helfen – beim Aufbau eigener Büros etwa. „Das hilft den Kollegen, denn im derzeitigen Set-up dürften sie viele russische Mandanten ja gar nicht beraten – als russische Kanzlei können sie das tun.“
„Derzeit gibt es vielleicht noch eine Sonderkonjunktur, weil alle den Schock der Krise managen müssen“, sagt ein deutscher Anwalt, der lange in Russland gearbeitet hat. „Aber danach wird es zappenduster.“ Ein Managing-Partner einer Kanzlei, die sich nun zurückzieht, sagt: „Es ist bitter, aber ich glaube nicht, dass eine westliche Kanzlei in den nächsten zehn Jahren da wieder hingehen wird. Selbst wenn der Krieg vorbei ist.“