Angriff auf Israel

„Kanzleien sollten sich trauen, den Mund aufzumachen“

Sollten Kanzleien zu politischen Themen und Gräueltaten öffentlich Stellung beziehen? Nicht erst seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wird darüber heftig diskutiert. Wie sollten sich Kanzleien verhalten? Und was können wir aus dem Fall Dentons lernen? Ein Gespräch mit dem Anwalt und Medienberater Micha Guttmann.

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Micha Guttmann berät seit 25 Jahren Organisationen zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit.

Guttmann, Jahrgang 1947, hat nach dem Jurastudium als Fernsehjournalist unter anderem für RTL und den WDR gearbeitet. 1998 gründete er ein Beratungsunternehmen für strategische Kommunikation, vor allem in Krisen und häufig mit Bezug zum Rechtsmarkt. Von 1988 bis 1992 war Guttmann Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zudem ist er Vorsitzender der DAV-Stiftung gegen Rechtsextremismus und Gewalt.

JUVE: Wenige internationale Kanzleien haben in offiziellen Statements den Terrorangriff der Hamas auf Israel verurteilt. Hätte da mehr kommen müssen?
Micha Guttmann: Ja, im Ganzen haben sich Unternehmen und auch Kanzleien noch nicht ausreichend positioniert. Man muss allerdings sagen, dass es insgesamt auch eine jüngere Entwicklung ist, dass Unternehmen sich zu politischen Themen äußern.

Was sind die Gründe für diese Entwicklung?
Das liegt vor allem an einer neuen Generation von Mitarbeitern, die fragen: Wofür steht mein Unternehmen? Stehen seine Werte im Einklang mit meinen eigenen Werten? Das wäre noch vor zehn oder zwanzig Jahren für fast niemanden eine Kategorie gewesen.

Und deshalb galt lange auch der Grundsatz: No matter what – Unternehmen und Kanzleien haben sich nicht politisch zu äußern?
Genau. Aber in dieser Reinform lässt sich das umso schwerer durchhalten, je mehr sich eine Kanzlei als Teil der politisch sensibilisierten Gesellschaft begreift und öffentlich Werte betont, für die sie steht. Ich finde es nicht tragbar, wenn Kanzleien sich als apolitisch empfinden – weil Recht auch immer politisch ist. Man kann auf die Dauer nicht glaubhaft Werte hochhalten, wenn man im entscheidenden Moment dann nicht auch den Mund aufmacht.

Also empfehlen Sie mehr Mut zu öffentlichen Statements?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Wenn das Selbstverständnis einer Kanzlei nicht so ist, dass sie offensiv für bestimmte Werte eintritt, sollte sie es lassen.

Was können wir aus dem Fall Dentons lernen? Die Kanzlei hat erst auf LinkedIn die Gräueltaten gegen Zivilisten in Israel verurteilt, nach Kritik diesen Post gelöscht und eine neue Version ins Netz gestellt, in der auch zivile Opfer auf palästinensischer Seite beklagt werden. Dann ging es in der Kommentarspalte so hoch her, dass Dentons auch diesen Post löschte. Begründung: Man habe nicht die Plattform für einen aufstachelnden Diskurs schaffen wollen.
Ich kenne die Details zu diesem Fall nicht, aber generell gilt: Wenn die Fakten in einem Statement stimmen, ist es immer schlecht, etwas zu löschen. Und nach unserer Erfahrung sind Kanzleien etwas zu ängstlich, anzuecken und damit ihr Geschäft zu beschädigen. Wenn wir als Beratungsunternehmen uns politisch eindeutig äußern, heißt das nicht, dass wir Mandate verlieren. Darüber sollten sich die Kanzleimanager mal Gedanken machen.

Noch einmal zum Dentons-Beispiel: Wie trifft man den richtigen Ton? Die Aussage, dass man jegliche Form von Gewalt gegen Zivilisten verurteilt, ist so selbstverständlich, dass man sie sich auch fast sparen kann.
Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ich finde auch, man sollte klar die Hamas als Ursache der akuten Krise benennen. Trotzdem kann eine Stellungnahme auch die Aussage beinhalten, dass man auf eine Lösung des Gesamtkonflikts hofft. Das ist aber eine ganz andere Geschichte. Auch ein Gesamtkonflikt rechtfertigt keinen Terrorangriff auf Zivilisten – darauf sollten sich alle einigen können.

Hätte Dentons also den Post nicht löschen sollen?
Social Media spielt heute oft eine schlimme Rolle bei der Verbreitung von Hetze und Propaganda. Wenn ein Post eine Flut von Hasskommentaren nach sich zieht, ist es nicht ehrenrührig, auf die Idee zu kommen, ihn zu löschen. Andererseits: Selbst negative Kommentare schaden nicht unbedingt dem Unternehmen oder der Kanzlei – da sind viele zu empfindlich. Manchmal ist es so: Wenn eine gesellschaftliche Position verteidigt werden muss, muss man stehen. Eine einfache Lösung könnte sein, dass eine Kanzlei nicht bei LinkedIn, sondern auf ihrer Website so eine Stellungnahme veröffentlicht. Da gibt es keine Kommentarfunktion, die von Hassverbreitern gekapert werden kann.

Aus Kanzleien ist zu hören: Wir haben zu dem Angriff auf Israel nicht öffentlich Stellung bezogen, weil man sich nun mal nicht zu allen schlimmen Dingen auf der Welt positionieren kann. Das sogenannte Whataboutism-Problem: Wieso sagt ihr was zu Israel, aber nichts zur Situation im Jemen oder in Bergkarabach?
Dies ist doch ein Totschlag-Argument. Natürlich kann man sich nicht zu jedem Unrecht auf der Welt positionieren. Entscheidend ist doch, inwieweit wir konkret und emotional betroffen sind. Im Fall des Terrors der Hamas ist dies der Fall, denn er hat Auswirkungen auch auf Deutschland, wie wir in den vergangenen Tagen erfahren mussten. Wer sich gesellschaftlich engagiert, darf nicht schweigen, wenn Israel angegriffen wird und sich in der Folge Juden auch in Deutschland nicht mehr sicher fühlen können.

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