Kommentar

Selten standen die Chancen auf Justizreformen so gut

Mit der Justiz in Deutschland ist es wie mit dem Bildungssystem: Viele Probleme, aber im Großen und Ganzen ist alles in Ordnung. So ungefähr sehen es die Bevölkerung und Experten seit Jahrzehnten. Deshalb ist es auch keine Überraschung, dass eine aktuelle Befragung des Rechtsschutzversicherers Roland unter Richtern und Staatsanwälten ähnliche Ergebnisse bringt wie vor sechs Jahren. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen: An einem entscheidenden Punkt ist die Stimmung ins Negative gekippt.

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Waren 2013 noch mehr als die Hälfte der Richter und Staatsanwälte mit ihrer technischen Ausstattung zufrieden, sind es heute nur noch 36 Prozent. Ein Grund dürfte sein: Den Richtern führen technisch hochgerüstete Streitparteien in immer komplexeren Streitigkeiten vor Augen, wie weit sich ihr Berufsalltag zwischen Poststelle und Faxgerät vom Tempo der Wirtschaft entkoppelt hat.

Aber so wie der Pisa-Schock einst die Schuldebatte beflügelt hat, gibt es heute mit Blick auf die Justiz Wachmacher, die jahrzehntealte Reformdebatten zu greifbaren Ergebnissen führen könnten: Brexit-Schock, Diesel-Schock, Digitalisierungsschock. Eine Reaktion darauf passt immer: Stattet die Justiz vernünftig aus, und jedes dieser Probleme wird kleiner. Wer etwa im Zuge des Brexit mehr lukrative internationale Wirtschaftsprozesse nach Deutschland holen will, muss erklären, für wen überlastete Gerichte mit quietschenden Aktenwagen eigentlich attraktiv sein sollen.

Solche Argumente verstehen auch klamme Finanzminister, und es bewegt sich tatsächlich etwas, wie auch der Rechtsstaatspakt der Koalition im Bund zeigt. Damit die darin versprochenen neuen Richter tatsächlich kommen, ist es wichtig, dass die Akteure der Justiz immer wieder ihre Stimme erheben – das Lob des Richterbunds für den Pakt ist bisher nur Vorschusslorbeer, aber genau damit nehmen die Richter den Gesetzgeber raffiniert in die Pflicht.

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