Den umfangreicheren Schutz nach dem Urheberrecht, verbunden mit exklusiven Nutzungsrechten, genießen nicht nur Werke der bildenden, sondern auch der angewandten Kunst. Für eine Einstufung als Werk muss es sich um ein Original handeln, das eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstellt und dessen Persönlichkeit widerspiegelt. Das sieht Klägerin Birkenstock als gegeben an. Es reiche nicht aus, wenn die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Orientierung an einem reinen Gebrauchszweck bestimmt werde, hatte hingegen das OLG Köln im Dezember 2023 formuliert.
Die Richter der zweiten Instanz verneinten das Vorliegen einer erforderlichen ‚Schöpfungshöhe‘, anders als vorher das Landgericht in Köln. Die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) und vom BGH gestellten Anforderungen an ein Werk seien nicht erfüllt. Medienberichten zufolge attestierte der Vorsitzende Richter des 1. BGH-Zivilsenats, Thomas Koch, dem OLG nun in der mündlichen Verhandlung, es habe bei seiner Bewertung die richtigen Maßstäbe angesetzt. Birkenstock sei als Klägerin in der Pflicht, eine bestimmte Gestaltungshöhe darzulegen.
Die Prozessgegner von Birkenstock sind der Tchibo-Konzern (Az. I ZR 17/24), das dänische Unternehmen Bestseller (I ZR 16/24) sowie die Detmolder Wortmann-Gruppe, die die Handelsplattform Shoe.com betreibt (I ZR 18/24). Strittige Modelle: die Birkenstock-Sandalen Madrid (ein Querriemen), Arizona (bekannt aus dem Barbie-Film) und Gizeh (mit Zehentrenner) sowie der vorne geschlossene Boston. Die Klägerin verlangt auf der Basis des reklamierten Schutzes Unterlassung des Vertriebs der ihrer Meinung nach am Original orientierten eigenen Produkte.
Sandalen-Klassiker längst im Museum
Birkenstock stuft das Design der Modelle als einzigartige künstlerische Leistung ein. Das gelte auch dort, wo der Schöpfer Karl Birkenstock, Spross einer bis 1774 zurückreichenden Schuhmacherdynastie, ab den frühen Sechzigerjahren bereits bekannte Grundelemente einer Gesundheitssandale kombiniert und in einer ureigenen Weise modifiziert und interpretiert habe.
Ähnlich wie andere längst höchstrichterlich urheberrechtlich geschützte Design-Ikonen, etwa der Ur-Porsche oder Bauhaus-Möbel und Leuchten, sind Birkenstock-Modelle in Design- und Kunstmuseen ausgestellt. Ein weiterer Aspekt des Disputs zwischen den Parteien: Designschutz ist auf eine Dauer von 25 Jahren nach der Anmeldung begrenzt, der urheberrechtliche Schutz jedoch auf 70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers angelegt.
Die mündliche Urteilsverkündung ist auf den 20. Februar festgesetzt worden. Wie weit das Gericht dabei auf die für jedes Modell spezifische Argumentation der Parteien eingeht, bleibt offen. In Sachen Tchibo stehen Boston und Gizeh zur Debatte, bei Bestseller Arizona und Madrid, bei Shoe.com Arizona und Gizeh.
Vertreter Birkenstock
Rohnke (Karlsruhe): Dr. Christian Rohnke (BGH-Vertretung)
Inhouse (Linz): Steffen Schäffner (Director Global IP), Moritz Schumacher, Anja Hofmann, Dr. Ricarda Braun-Goecke (alle Senior Legal Counsel IP)
SKW Schwarz (München): Dr. Konstantin Wegner (Federführung), Dr. Johann Heyde; Associate: Dr. Anna Kellner (alle IP)
Vertreter Tchibo/Bestseller
Koch (Karlsruhe): Dr. Matthias Koch (BGH-Vertretung)
Hogan Lovells (Hamburg): Dr. Morten Petersenn, Charlotte Reimers (beide Federführung; beide IP)
Vertreter Shoe.com
Baukelmann Tretter (Karlsruhe): Norbert Tretter (BGH-Vertretung)
SSM Sandmair (München): Dr. Johann Bauer (Federführung; IP)
Bundesgerichtshof, I. Zivilsenat
Prof. Dr. Thomas Koch (Vorsitzender Richter), Dr. Christian Löffler
Hintergrund: Birkenstock, seit November 2023 an der New Yorker Börse notiert, zieht bei Verfahren vor dem BGH seit vielen Jahren Rohnke hinzu. Er trat bis zum Jahresende 2023 gemeinsam mit Dr. Thomas Winter auf, seither sind beide in eigener Kanzlei tätig.
Inhouse laufen bei Birkenstock die Fäden bei Schäffner zusammen. Er ist seit 2017 bei den Linzern tätig, seit 2022 in der heutigen Funktion. Frühere Stationen des Director Global IP waren etwa das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) sowie der Arzneihersteller Merck.
SKW-Partner Wegner, der den zum Investor L Catterton gehörenden Hersteller in den Vorinstanzen vertreten hatte, ist im Markt vor allem aufgrund seiner Tätigkeit für Medien- und Verlagshäuser bekannt. Er berät und vertritt aber auch Mode- und Lifestyleunternehmen wie Birkenstock im Urheberrecht.
Tchibo und Bestseller stand in der dritten Instanz Koch zur Seite. Er war vor seiner Zulassung als BGH-Anwalt 2016 Partner bei Hogan Lovells. Die Mandatsbeziehung von Hogan Lovells mit Tchibo in Sachen IP und Wettbewerbsrecht besteht schon viele Jahre. Bereits 2014 stand Partner Petersenn dem Konzern in einem damals noch als ‚Geschmacksmusterverfahren‘ bezeichneten Designstreit gegen Tupperware zur Seite. Im gleichen Jahr trat das Designrecht in Kraft, aus dem Geschmacksmuster wurde das ‚eingetragene Design‘. Für Bestseller ist die Praxis ebenfalls vielfach in Markenrechts- und Designsachverhalten tätig.
Für die Plattform der Wortmann-Gruppe trat hier der seit 2013 beim BGH zugelassene Tretter auf. Der vorinstanzlich befasste Bauer ist in der Münchner Patentkanzlei SSM (bis 2018 Schwabe Sandmair Marx) der einzige anwaltliche Berufsträger neben 15 Patentanwälten. Neben der Vertretung vor Gericht in Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes steht er Industrieunternehmen bei Forschungs- Entwicklungskooperationen sowie bei Lizenzverträgen zur Seite.