Kartellschäden zu berechnen ist teuer, zeitraubend und mit einigem Aufwand verbunden. Aus diesem Grund ergingen in den Schadensersatzprozessen der vergangenen Jahre zwar viele Grundurteile, aber selten wurden Klägern konkrete Summen zugesprochen.
Nun hat das Landgericht Berlin der Schadensersatzklage der BVG (Slogan: „Weil wir dich lieben“) immerhin zur Hälfte stattgegeben – und dazu einen bisher wenig praktizierten Ansatz gewählt: Das Gericht hat den Kartellschaden selbst auf Grundlage der vorgelegten ökonometrischen Parteigutachten geschätzt (Az. 61 O 2/23 Kart).
Die Crux mit der Schadensschätzung
Bisher versuchen deutsche Gerichte über unterschiedliche Methoden, Kartellschäden zu beziffern. In einigen Fällen gab es schadenspauschalisierende Vertragsklauseln, deren grundsätzliche Zulässigkeit der Bundesgerichtshof 2021 bestätigte (Az. KZR 63/18). Andere Gerichte, darunter das Landgericht Dortmund, attestierten sich selbst „Mut zur Schätzung“ und taxierten die Höhe eines Schadensersatzanspruchs frei und ohne gutachterliche Hilfe (Az. 8 O 115/14 Kart). Auch ein einfacher Preisvergleich wurde des Öfteren zur Schadensbestimmung herangezogen, zuletzt durch das Oberlandesgericht Celle (Az. 13 U 120/16 Kart).
Bisher hat sich noch keiner dieser Ansätze gefestigt. Viele Gerichte bemühen sich aber, die Schadensschätzung möglichst einfach und praktikabel zu halten. Das ist angesichts einer überlasteten Justiz, der steigenden Zahl an Kartellschadensersatzklagen und der hohen Komplexität ökonometrischer Gutachten kaum verwunderlich. In diese Richtung dürften auch die Überlegungen des LG Berlin gegangen sein: Indem es keine gerichtlichen Gutachter beauftragte und stattdessen auf Grundlage der vorgelegten ökonometrischen Parteigutachten selbst zu einer Schadensschätzung gelangte, konnte es insgesamt schneller entscheiden.
Streit über IAW-Gutachten
Das Gericht legte seiner Schätzung das sogenannte ‚IAW-Gutachten‘ zugrunde. Dieses statistische Gutachten des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung hatten rund 50 Abnehmer von Gleisoberbaumaterialien in Deutschland 2014 eingeholt. Das Gutachten dient der Schätzung der durchschnittlichen kartellbedingten Preisaufschläge und soll die Bezifferung eines (Mindest-)Schadens ermöglichen.
Die Beklagtenseite jedoch kritisiert, dass sich das LG Berlin zwar mit der Methodik des IAW-Gutachtens auseinandergesetzt, die darin verwerteten Rohdaten aber selbst nicht geprüft habe. Gegen das Urteil wollen die Beklagten Berufung einlegen.
Vertreter Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
Oppenländer (Stuttgart): Dr. Christoph Wolf (Kartellrecht), Dr. Matthias Lorenz (Prozessführung); Associates: Dr. Raphael Höll (Konfliktlösung), Dr. Christopher Réti (Kartellrecht)
Inhouse Recht (Berlin): Ute Bonde (Leiterin Recht und Compliance), Sonja Zeitler
Vertreter Schreck-Mieves und Balfour Beatty Rail
Görg (Hamburg): Dr. Maxim Kleine, Katja Weiß (beide Kartellrecht)
Vertreter Thyssenkrupp GfT Gleistechnik
Freshfields Bruckhaus Deringer (Düsseldorf): Dr. Roman Mallmann (Prozessführung), Dr. Uta Itzen (Kartellrecht), Jan Buschfeld; Associate: Stefanie Spancken-Monz (beide Prozessführung)
Vertreter Vossloh Laeis (Streithelferin)
SZA Schilling Zutt & Anschütz (Mannheim): Hans-Joachim Hellmann (Kartellrecht), Dr. Steffen Henn (Prozessführung)
Landgericht Berlin, 61. Zivilkammer
Dr. Peter Korth (Vorsitzender Richter)
Hintergrund: Oppenländer vertritt bundesweit Verkehrsbetriebe in zahlreichen Verfahren im Schienenkartell. Zuletzt war die Kanzlei auch an Entscheidungen des Bundesgerichtshofs beteiligt, die wegweisend für das Thema Kartellschadensersatz in Deutschland sind. Die Federführung haben die beiden Partner Wolf und Lorenz inne, die das Großmandat ursprünglich von Prof. Dr. Albrecht Bach übernommen haben.
Schreck-Mieves setzt nach wie vor auf Görg-Partner Kleine. Weiß, die inzwischen eine tragende Rolle in dem Mandat spielt, gehörte bereits bei Norton Rose Fulbright als Associate zu Kleines Team. Bei ihrem Wechsel zu Görg wurde sie Assoziierte Partnerin. Kleine war bereits während seiner Zeit bei Oppenhoff & Partner von dem Unternehmen mandatiert worden und hatte das Mandat 2014 erst zu Norton Rose Fulbright und 2021 zu Görg mitgenommen.
Zum gleichen Themenkomplex läuft ein Parallelverfahren, in dem Vossloh Laeis die Hauptbeklagte ist und die anderen Parteien als Streithelferinnen agieren.