Produktionsausfälle und Umsatzeinbrüche könnten schon kurzfristig eine Welle von Insolvenzanträgen auslösen. Das Bundesjustizministerium (BMJV) hat deshalb angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen auszusetzen, die durch die Corona-Folgen ins Straucheln geraten und nicht schnell genug handeln können – zum Beispiel durch Verhandlungen mit ihren Gläubigern oder durch einen Antrag auf die angekündigten öffentlichen Hilfen wie Kurzarbeitergeld, Steuerstundungen oder KfW-Kredite.
Beweislast und Haftungsfragen
Der Berliner Hengeler Mueller-Partner Dr. Martin Tasma sieht im Verweis auf Corona keine leichte Aufgabe: „Den Nachweis, dass es zwischen der Corona-Krise und dem Eintritt eines Insolvenzgrundes einen kausalen Zusammenhang gibt, wird man im Einzelfall erst einmal erbringen müssen. Etliche Unternehmen standen schon vorher auf der Kippe bei Liquidität und Finanzierung oder sie befanden sich bereits in einer Restrukturierung und waren bisher auf einem guten Weg. Eine Vermutungsregelung zum Beispiel mit Beweislastumkehr könnte in diesem Zusammenhang gegebenenfalls helfen, wobei vieles von der genauen Ausgestaltung der entsprechenden Regelung abhängt.“
Auch bei einer ausgesetzten Antragsfrist sieht Tasma viele Fragen offen: „Eine vorübergehende Aussetzung der Antragspflicht beantwortet nicht die sich in diesem Zusammenhang stellenden Haftungsfragen. Zusätzlich sind flankierende Regelungen zu Fragen der Geschäftsleiter-, Kreditgeber- und der Beraterhaftung notwendig.“ Interne Regeln der Banken zur Kreditvergabe könnten kurzfristige Finanzierungszusagen in der aktuellen Situation ausschließen. „Dass der Staat hier als Kreditgeber einspringt, ist hilfreich und notwendig, wenn es nur um die Schließung von Liquiditätslücken geht. Nicht nachholbare Umsatzausfälle können jedoch nur durch echte Beihilfen in der Form verlorener Zuschüsse ausgeglichen werden“, erklärt Tasma. Einen ähnlichen Vorschlag hatte auch der Verband Insolvenzerwalter Deutschland (VID) geäußert.
Was wird aus der präventiven Restrukturierung?
Regulär gilt für einen Insolvenzantrag ein maximaler Zeitraum von drei Wochen, sobald Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ruchbar werden. Halten sich Geschäftsführer oder Vorstände nicht daran, drohen ihnen ernste straf- und zivilrechtliche Konsequenzen. Die Insolvenzantragspflicht soll bis Ende September ausgesetzt werden, eine mögliche Verlängerung bis Ende März 2021 wird gesetzgeberisch bereits eingeplant. Sanierungsexperten halten die Änderung für sinnvoll, verlangen jedoch mehr.
„Am wichtigsten erscheint es in dieser Phase, den Unternehmen kurzfristig und unbürokratisch die benötigte Liquidität zur Verfügung zu stellen“, meint Kolja von Bismarck, Partner bei Sidley Austin und Vorstandsmitglied bei der Turnaround Management Association (TMA), einem Zusammenschluss von Restrukturierungsexperten. „Dazu wäre es unter anderem sinnvoll, auch Gesellschafterfinanzierungen zu erleichtern.“ Auch er sieht Regelungsbedarf bei Haftungsfragen. „Die Organe von Kapitalgesellschaften müssen in die Lage versetzt werden, trotz der sehr dynamischen Entwicklung und fehlender Planbarkeit Entscheidungen zum Erhalt ihrer Unternehmen und der daran hängenden Arbeitsplätze zu fällen, ohne sich dabei unzumutbaren persönlichen Haftungsrisiken auszusetzen.“ Die TMA schlägt ein Maßnahmenpaket vor, das unter anderem vorsieht, dass Bund und Länder über einen Krisenfonds Bürgschaften für 100 Prozent des Ausfallrisikos für coronabedingte Finanzierungen tragen.
Gefahr für Distressed-M&A-Deals
Die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland hatten 2019 einen historischen Tiefstand erreicht. Das BMJV arbeitet seit Monaten an der Umsetzung einer EU-Richtlinie, die unter dem Stichwort ‚Präventive Restrukturierung‘ ein weiteres Sanierungswerkzeug für insolvenzbedrohte Unternehmen bereitstellen soll. Die Unwägbarkeiten der Corona-Krise machen jetzt andere Maßnahmen dringlicher. Für die Firmen, die vor Corona ein Insolvenzverfahren begonnen haben, ist jetzt eine Sanierungslösung etwa durch Verkauf deutlich schwerer. Auch bereits unterschriebene Sanierungsdeals könnten scheitern, wenn die wirtschaftlichen Konditionen nicht mehr erfüllbar erscheinen.
Nikolaus Röver, Anwalt und Managing-Partner der Beratungsgesellschaft Axcit Recovery, bringt eine verlängerte Zahlung des Insolvenzgelds ins Spiel: „Wir sehen in zahlreichen laufenden Verkaufsverfahren in der Restrukturierung, dass eigentlich überlebensfähige Unternehmen aufgrund der großen Unsicherheit durch die Corona-Krise nicht verkauft werden können. Diese müssen dann möglicherweise nach Auslaufen des Insolvenzgeldes abgewickelt werden, da die Mittel für die Zahlung der Gehälter und Löhne fehlen. Teilweise ziehen passende strategische Käufer in laufenden Transaktionen sogar ihre Angebote zurück.“ Röver schlägt eine Verlängerung des Insolvenzgelds von drei auf sechs Monate vor.