Der SZ-Artikel stützt sich auf bankinterne Quellen sowie weitere mit dem Komplex vertraute Personen. Auf Anfrage von JUVE war die Deutsche Bank zu keiner Stellungnahme bereit.
Die bekannt gewordenen Details zeigen jedenfalls eine neue konzerninterne Marschrichtung. Ganz offenbar ohne Rücksprache mit dem früheren Management oder den D&O-Haftpflichtversicherern, ging der neuformierte Aufsichtsrat das Haftungsszenario durch. Das Gremium wird in dem Kirch-Komplex seit einigen Jahren von Dr. Marc Löbbe beraten, in Frankfurt Partner bei SZA Schilling Zutt & Anschütz.
Andere Anwälte, die mit dem Verfahrenskomplex vertraut sind, sehen jedenfalls in der obersten Führungsriege den Treiber der Neuentwicklung. „Dies ist ein Vorstoß, eine langjährige, nationale Auseinandersetzung endgültig zu beenden, weil man sich im Vorstand und Aufsichtsrat längst mit anderen global wichtigeren Unternehmensprozessen beschäftigen muss“, so ein Partner aus einer Großkanzlei. So stehen neben schärferen Eigenkapitalvorschriften, der Neuordnung ihrer Investmentbankaktivität auch der Skandal um die Manipulation des Leitzinssatzes Libor und Prozesse in den USA auf der Agenda der Deutschen Bank. Entsprechend gab es unter dem neuen Chefaufseher Dr. Paul Achleitner auch personelle Veränderungen im einflussreichen Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, der sich mit der Rechnungslegung und dem Risikomanagement der Deutschen Bank beschäftigt.
Außen vor scheinen bislang die D&O-Versicherer unter Führung der Zurich sowie der Allianz zu sein. Deren Lager reagiert überrascht über die bekannt gewordenen Details. „Wenn die Informationen denn so stimmen, müsste man das ordentlich prüfen“, heißt es. Die Rechnung der Deutschen Bank ist für Versicherungs- und Haftungsrechtler klar: Sollte die Großbank in beiden Haftungsprozessen verlieren, könnten auf sie Zahlungen von über 2,5 Milliarden Euro zukommen. Dieses Risiko ließe sich durch eine Zahlung von 900 Millionen Euro umgehen, zumal die Bank ihren Ex-Manager Rolf Breuer dann aus dem abgetretenen Recht in Regress nehmen könnte. Im Fokus steht dann aber die D&O-Haftpflichtpolice, die eine Deckung von bis zu 500 Millionen Euro vorsieht.
Nach Ansicht verschiedener D&O-Experten wäre dieses Rechenbeispiel und die volle Inanspruchnahme der Haftpflichtpolice kaum in Realität umzusetzen. Denn ein außergerichtlicher Vergleich entfaltet nur Bindungswirkung für die Versicherer, wenn sie diesen beitreten würden. Es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass die D&O-Versicherer in diesen Fall auf ihre bestehenden Einreden verzichten werden. Zumal ein stattgebendes Urteil gegen Breuer dann weiterhin nicht vorliegen würde.
Dass die Inhouse-Juristen der Deutschen Bank in jetzigen Planspielen eine substanzielle Rolle spielen, gilt ebenfalls als unwahrscheinlich. Mit dem Ende der Ära Josef Ackermanns gab es erhebliche strukturelle Veränderungen im Vorstand, die sich auch auf die Rechtsabteilung auswirkten. So verließ der langjährige Chefjurist Arne Wittig die Deutsche Bank und wurde neuer General Counsel bei Thyssen Krupp (mehr…). Wittig hatte die Kirch-Prozesse jahrelang intensiv begleitet und die externen Prozessvertreter koordiniert. Sein Nachfolger ist der renommierte Cleary Gottlieb Steen & Hamilton-Partner Dr. Christof von Dryander, der zum Jahresbeginn 2013 zur Deutschen Bank wechseln wird (mehr…)
Bereits im Februar dieses Jahres war ein Vergleichsgespräch zwischen der Deutschen Bank und der Kirch-Witwe gescheitert. Seinerzeit stand eine Summe von 775 Millionen Euro nebst Zinsen im Raum, welche die Deutsche Bank an die Kirchseite zahlen sollte. Die Anwälte von Hengeler Mueller, Gleiss Lutz und Sernetz Schäfer, die damals die beklagte Bank und ihren Ex-Manager in den Haftungsprozessen vertraten, sowie die Kirch-Kanzlei Bub Gauweiler waren an den damaligen Gesprächen nicht beteiligt (mehr…).
Kurz darauf scheiterte der Vergleich und nahezu zeitgleich legte Sernetz Schäfer das Prozessmandat nieder (mehr…). Seit April laufen die Verfahren vor dem OLG München wieder an. Der zuständige Zivilsenat hat die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen, erwartet aber für den nächsten Verhandlungstag Schlussanträge der Prozessvertreter. Ob allerdings noch in diesem Jahr mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist laut Prozessbeteiligten noch vollkommen offen.