Neupartnerinnen in Kanzleien

Frauen im Rechtsmarkt und das Auge der Betrachtenden

Ein Drittel der Partnerernennungen des Jahres 2022 entfallen auf Frauen. Ist das viel oder wenig? Je nach Betrachtungsweise: beides. Diesen Widerspruch zu begreifen und angemessen damit umzugehen – das ist nicht nur für Kanzleien eine Herausforderung, sondern auch für die Berichterstattung über den Rechtsmarkt. Eine Analyse (auch) in eigener Sache.

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57 Prozent beträgt der Frauenanteil bei dem bestandenen Zweiten Staatsexamen. Unter den neu ernannten Partnern und Counsels der JUVE-Top-50-Kanzleien sind nur ein Drittel weiblich. Warum?

Zum vierten Mal haben wir die Beförderungen in den Sozietäten ausgewertet, die im Handbuch Wirtschaftskanzleien die JUVE Top 50 bilden. 464 Partner und Counsel wurden im zurückliegenden Jahr ernannt, davon 152 Frauen. Das sind 32,8 Prozent.

Knapp 33 Prozent sind wenig, wenn man die Zahlen der Absolventinnen und Absolventen danebenlegt: Im Jahr 2020 betrug der Frauenanteil beim bestandenen Zweiten Staatsexamen fast 57 Prozent. Irgendetwas muss in der Zeit zwischen Zweitem Staatsexamen und den Beförderungsrunden in Kanzleien passieren, dass der Frauenanteil so drastisch sinkt.

Im Machtzentrum ist nicht mal jede fünfte Person weiblich

Ein Drittel Frauen unter den Beförderungen, das ist aber auch viel – wenn man den Blick darauf richtet, wo die wirtschaftliche Macht liegt: bei den Vollpartnern und -partnerinnen. Keine der fünf nach Umsatz größten deutschen Kanzleien kommt in puncto Frauenanteil in der Vollpartnerschaft auch nur auf 20 Prozent.

Quellen: Partnerschaftsregister, Stand 30.11.2022 sowie azur-Recherchen. Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Gesamtzahl der Equity-Partner bei Freshfields korrigiert.

Vor dem Hintergrund dieser ernüchternden Zahlen bedeutet eine Frauenquote von einem Drittel bei den Ernennungen einen Fortschritt – der aber, siehe Absolventinnenzahlen, immer noch viel zu mickrig ist. Klar ist, dass sich Kanzleien mit dieser männlichen Schlagseite eines großen Potenzials berauben. Denn sie verzichten auf die weibliche Sichtweise zu jeglichen Lebenssachverhalten in Versammlungen der Partnerschaft. Sie verzichten – bewusst oder unbewusst – auf starken Nachwuchs.

Reden und Handeln passen nicht zusammen

So sehr diese Sichtweise sich inzwischen zumindest in offiziellen Verlautbarungen durchgesetzt hat: An dem entscheidenden Indikator Beförderungen ist eine deutliche Konsequenz für die vergangenen Jahre nicht ablesbar. Die Frauenquote bei den Ernennungen der Top 50 liegt alles in allem bei rund einem Drittel, zuletzt ist sie sogar um einen Prozentpunkt gefallen.

Diese Missverhältnisse offenzulegen, ist eine der Aufgaben kritischer Branchenberichterstattung, wie wir sie bei JUVE betreiben. Könnten, sollten, müssten wir als Journalistinnen und Journalisten mehr tun, damit Gleichberechtigung und gleiche Teilhabe im Rechtsmarkt irgendwann vollständig verwirklicht sind? Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Es gilt, die Realität so darzustellen, wie sie ist. Einerseits. Gleichzeitig erschaffen wir mit dem, was wir berichten, auch einen Teil der Realität. Indem wir Dinge sichtbar machen, beeinflussen wir künftiges Handeln. Wir haben die Möglichkeit, durch die Auswahl unserer Themen und Gesprächspartnerinnen gesellschaftliche Entwicklungen zu fördern, die uns wünschenswert erscheinen. Kurzum: Wir sind Beschreiber und zugleich Gestalter, und das bringt Zielkonflikte mit sich.

Wir müssen uns täglich in vielen großen und kleinen Fragen einpendeln zwischen den Extremen „Nur abbilden, was ist“ und „Zeigen, was wir gut finden, damit es bald mehr davon gibt“.

Ein paar Beispiele aus der Praxis.

  • Bei den wichtigsten Deals des Monats, die wir für den JUVE Rechtsmarkt zusammenstellen, haben ausnahmslos männliche Transaktionsanwälte die Federführung. Sollen wir sagen: So ist es nun mal, und das ist ja auch eine wertvolle Erkenntnis, die zeigt, woran Kanzleien arbeiten müssen, wenn es ihnen ernst ist mit der Gleichberechtigung? Oder sollen wir Auswahlkriterien wie Volumen, interessante Mandatsbeziehungen und Internationalität einmal ausblenden, damit wir mehr Deals unter weiblicher Regie zeigen können?
  • Sollen wir auf der Überblicksseite mit den wichtigsten Personalien eines Monats Frauen bewusst hervorheben, selbst wenn sie numerisch deutlich in der Minderheit sind? Sollen wir mehr Frauen darstellen, als es ihrem rechnerischen Anteil entspricht, weil wir es insgesamt richtig finden, Frauen in unserer Branche sichtbarer zu machen? Oder schadet diese Verzerrung sogar, weil auch eine noch so gut gemeinte Überrepräsentation von Frauen an dieser Stelle ein geschöntes Bild der Wirklichkeit erzeugt – und damit Probleme verdeckt?
  • Sollen wir in der Deal-Berichterstattung den männlichen Partner, der nach Lage der Dinge die Federführung hatte, im Bild zeigen? Oder eine Frau, die im Team keine Schlüsselrolle gespielt hat, aber eben eine Frau ist? Auch hier wieder das Dilemma: Wenn wir über unsere Auswahl den Eindruck vermitteln, Männer und Frauen wären in der Federführung bei wichtigen Deals gleichermaßen präsent, machen wir zwar Frauen und damit mögliche Vorbilder sichtbar – aber wir erzeugen das unzutreffende Bild, es sei bereits alles gleichberechtigt. Damit würden wir Veränderungsdruck von den Kanzleien nehmen.

In all diesen Fragen gibt es kein objektives Richtig oder Falsch. Es gilt, persönliche Haltung und objektive Marktberichterstattung in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Das erzeugt naturgemäß ständig Reibung. Jede Entscheidung kann kritisiert werden. Wird sie auch. Wir sind eine sehr streitfreudige Redaktion.

Dem Status quo auf die Sprünge helfen?

Sind Onlineumfragen zu allgemeinen Marktthemen erkenntnisreicher, wenn darin auch Frauen zu Wort kommen? Darauf können wir uns einigen. Finden wir es gut, dass sich in manchen Rechtsgebieten auf der Liste der anerkanntesten Beraterpersönlichkeiten fast nur Männer finden? Nein. Sollten wir pauschal unterstellen, dass eine solche Liste allein einem männlichen Empfehlungskartell entspringt? Nein. Sollten wir der Möglichkeit, dass es ein solches Kartell gibt, auf den Grund gehen? Unbedingt. Sollten wir der Marktgeltung von Frauen ein bisschen auf die Sprünge helfen, indem wir nach einem bestimmten Proporz (welcher wäre dann der richtige?) einfach mehr Frauen in die Liste der führenden Berater schreiben? Nein.

Denn damit würden wir eine rote Linie überschreiten. Wir würden von Marktbeobachtern zu Aktivisten. Es würde das zunichtegemacht, wofür es Journalismus überhaupt braucht: Sichtbarmachen des Status quo, ob er uns gefällt oder nicht. Der Sinn von Listen besonders renommierter Beraterpersönlichkeiten ist es, deren Marktgeltung so wiederzugeben, wie sie sich uns nach unseren Recherchen darstellt. Würden wir hier eine Quotenregelung einführen, würde gar nicht mehr sichtbar, wo in der Praxis eigentlich immer noch Boys’ Clubs das Geschäft dominieren.

Marktbeobachter sind keine Aktivisten

Damit würde das übergeordnete Prinzip konterkariert, für das JUVE steht: Transparenz. Den Status quo im Rechtsmarkt sichtbar zu machen – darauf kommt es an. Was das für konkrete journalistische Entscheidungen bedeutet, darüber diskutieren wir in der Redaktion jeden Tag. Ja, solange der Markt, den wir beobachten, ist, wie er ist, wird es immer wieder Deal-Rubriken im ‚Rechtsmarkt‘ oder Empfehlungslisten im ‚Handbuch‘ geben, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Nein, wir bleiben nicht bei dieser Beobachtung stehen: Wir benennen Probleme und analysieren sie mit den Akteurinnen und Akteuren im Rechtsmarkt – immer und immer wieder, in einem nie endenden Dialog. Das ist unsere Antwort darauf, wie sich das Dilemma zwischen bloßem Chronistentum und Aktivismus auflösen lässt.

Autor und Autorinnen dieses Beitrags leiten das Nachrichtenportal juve.de und das Monatsmagazin JUVE Rechtsmarkt.

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