Erneut schildert der Kronzeuge, ein Anwalt aus dem engsten Kreis der Cum-Ex-Szene – in manchen Medien auch Benjamin Frey genannt –, fünf Stunden lang das Innenleben der Cum-Ex-Geschäfte. Er sagt im Prozess gegen zwei ehemalige Händler der Hypo Vereinsbank aus. Speziell geht es an Tag 2 um einige Fonds, die die Anwaltskanzlei Berger Steck & Kollegen im Zeitraum 2009 und 2010 mit Warburg Invest, der Société Générale (SocGen) und HansaInvest aufsetzte oder aufsetzen wollte – nicht immer lief alles glatt.
Das Gericht will wissen, mit wem die Berater im Vorfeld sprachen, wie sie die Geschäfte anbahnten und wer mit wem Verträge abschloss. Eigentlich, so sagt der Kronzeuge im Zeugenstand, sei der Ablauf immer gleich gewesen: Ihr neuseeländischer Geschäftspartner Paul Mora habe den Kontakt mit Interessenten hergestellt, dann hätte Berger Steck Beratungsgespräche geführt, Gutachten erstellt oder besorgt und Verträge vorbereitet. Speziell bei den Depotbanken und auch bei den Kreditgebern sei die Kenntnis über die Struktur der Deals umfassend gewesen, berichtet der Zeuge. Man habe mit Geschäftsleitern, Tradern und Inhouse-Juristen auf Augenhöhe gesprochen.
Ob denn alle Beteiligten die gleichen Informationen hatten, will das Gericht wissen. Im Prinzip ja, so die Antwort, aber entscheidende Passagen habe man sowohl in Prospekten also auch in Gutachten eher verbrämt. Von „Arbitragegewinnen“ sei dann die Rede gewesen. Und niemand habe gefragt, was man darunter denn eigentlich genau verstehen müsste. Kenner der Materie hätten aber schon gewusst, womit die Fonds eigentlich ihr Geld verdienen. Darunter vor allem die Banker, Juristen und Trader, Investoren hätten die Konstrukte nicht immer vollständig durchblickt.
Berger Steck hätten an den Geschäften sowohl ein Beraterhonorar als auch eine Gewinnbeteiligung über ihre Investmentfirma verdient. Mal seien es „Fifty-Fifty“ im Gespräch gewesen, mal nur 30:70, je nach Verhandlungsgeschick des Namenspartners Dr. Hanno Berger.
„Wir waren Haie im Haifischbecken“
Ins Wanken sei der gut geschmierte Deal-Apparat gekommen, als sich die Beteiligten untereinander nicht mehr vertrauten. Ein Investor habe mitbekommen, dass er offenbar deutlich weniger an einem Fonds profitierte, als andere Beteiligte. Da er Berger dafür verantwortlich gemacht habe, versuchte der Investor die Berater von Berger Steck zu erpressen. Aber auch denen sei erst in diesem Moment klar geworden, dass Schlüsselfigur Paul Mora offenbar jedem andere Beteiligungen auszahlte – auch ihnen. Mora habe dem drängelnden Investor nämlich einen Nachschlag von 2,5 Millionen Euro gezahlt, um ihn ruhig zu stellen. „Jeder bescheißt eben jeden“, zitiert der Vorsitzende Richter. Und der Kronzeuge quittiert: „Das ist so wohl richtig.“
Einer der Verteidiger will wissen, wie der gegenseitige Betrug denn möglich war, wenn doch eigentlich alle über alles Bescheid wussten. Die Trader hätten Profite aushandeln können, ohne das andere Beteiligte davon wissen konnten. Man hätte ja schlecht die Buchprüfer in Moras Firma Ballance vorbeischicken können. Jeder habe nur seine eigenen Interessen im Blick gehabt: „Wir waren Haie im Haifischbecken“, sagt der Zeuge.
Zur Cum-Ex-Maschinerie gehörte auch eine beachtliche Zahl an Gutachten, mit denen den Aktivitäten Rechtmäßigkeit bescheinigt wird, berichtet der Kronzeuge auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Roland Zickler. Da Berger seine Gutachten nicht für alle Beteiligten habe schreiben können, wurde er meist für die Fonds tätig. Wenn es Interessenkonflikte gab, hätten Berufsträger aus anderen Firmen einfach Bergers Gutachten mit Copy und Paste übernommen und unter eigenem Namen ausgestellt. Manche Anleger hätten sich aber auch eigene Gutachter besorgt, so der Zeuge. Darunter seien beispielsweise der Düsseldorfer Anwalt Prof. Dr. Thomas Koblenzer oder Prof. Dr. Joachim Englisch von der Uni Münster gewesen.
Auch an anderen Stellen im Cum-Ex-Deal-Kreislauf wurden Anwälte und Steuerberater benötigt, damit die Profite fließen konnten. Ab 2009 konnten die Akteure die Erstattung der Kapitalertragsteuer nur noch geltend machen, wenn dem Finanzamt eine Bescheinigung eines unabhängigen Berufsträgers vorgelegt wurde. Diese sollte bestätigen, dass es zwischen Verkäufer und Käufer keine Absprachen über Leerverkäufe gab. Die Bescheinigungen waren ab da ein ganz wesentlicher Bestandteil der Cum-Ex-Struktur. Denn, so der Zeuge, „ohne Bescheinigung keine Erstattung, ohne Erstattung kein Profit“.
Das Thema habe Berger viele Nerven gekostet, wenn beispielsweise der Inhouse-Jurist der SocGen auf dieser Bescheinigung bestand. Berger selbst habe die Bescheinigungen nicht ausstellen wollen, da er ja schon das Gutachten verfasst habe. Also sei in diesem Fall ein Partner von der Kanzlei Beiten Burkhardt eingesprungen und habe die Berufsträgerbescheinigung ausgestellt. Der Prozess wird heute mit einer weiteren Vernehmung des sogenannten Kronzeugen fortgesetzt. Er wird von den Zeugenbeiständen Prof. Dr. Alfred Dierlamm aus Wiesbaden und Prof. Dr. Tido Park aus Dortmund begleitet.
Lesen Sie hier die Berichterstattung zum ersten Tag der Zeugenaussage.