„Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung“ lautet der Vorwurf, um den es in den kommenden zwei Jahren gehen wird (Az. 64 JS 22724/19). Verhandlungstermine sind bis zum Dezember 2022 festgelegt. Die Ermittlungsakte umfasst 40.000 Seiten.
Noch bevor die beiden Staatsanwälte die 90 Seiten lange Anklageschrift verlasen, forderte Thilo Pfordte, der Verteidiger Stadlers, Auskunft: Die Richter und Schöffen der 5. Strafkammer sollten offenlegen, ob sie oder ihre Ehepartner seit 2009 ein Dieselauto des VW-Konzerns gefahren haben. Hintergrund sei eine mögliche Befangenheit.
Vor 20 Jahren tüftelten Audi-Ingenieure ein System aus, um bei Abgastests besser abzuschneiden: Eine Software drosselt den Stickoxidausstoß, wenn das Auto auf dem Prüfstand steht und das Lenkrad nicht bewegt wird. Auf der Straße aber überschritten die Abgase den Grenzwert. So reichte ein kleinerer Tank für das AdBlue-Harnstoffgemisch, das die Abgase reinigt. Das Nachfüllen des Gemischs war Teil der Wartungstermine, der Kunde selbst musste nicht tätig werden. Aufgeflogen waren die Manipulationen vor fünf Jahren in den USA. Der Schaden des mutmaßlichen Betrugs soll sich auf 3,3 Milliarden Euro belaufen.
Die Staatsanwaltschaft wirft Stadler vor, er habe spätestens nach der Aufdeckung des Skandals in den USA im September 2015 von den manipulierten Audi-Motoren gewusst. Dennoch habe er veranlasst, dass sie weiterhin verkauft werden. Stadler war von 2007 an fast zwölf Jahre Audi-Chef. Die Ermittler hatten bei Razzien in der Audi-Zentrale in Ingolstadt und im Werk Neckarsulm Material sichergestellt, sein Privathaus in Ingolstadt durchsucht und sein Telefon abgehört. Wegen Verdunkelungsgefahr saß Stadler 2018 vier Monate lang in Augsburg in Untersuchungshaft. Eine Mitwisserschaft oder gar Beteiligung an Dieselmanipulationen hat er stets bestritten. Der Ingenieur, der als Motorenentwickler tätig war, ist laut Staatsanwaltschaft weitgehend, sein früherer ebenfalls angeklagter Mitarbeiter uneingeschränkt geständig.
In Sachen Diesel werden mutmaßlich noch eine Reihe weiterer Strafprozesse folgen. So wurde vergangene Woche publik, dass auch die drei früheren Audi-Vorstände Ulrich Hackenberg, Stefan Knirsch und Bernd Martens sowie der damalige Dieselmotorenchef Richard Bauder Post von der Staatsanwaltschaft München II erhielten, wie zuerst das Handelsblatt berichtete. In Braunschweig ist das Gericht schon weiter, es ließ zwei Klagen gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn zu.
Vertreter Stadler.
Pfordte Bosbach (München): Thilo Pfordte, Ulrike Thole-Groll
Vertreter Wolfgang Hatz
Trüg Habetha (Freiburg): Prof. Dr. Gerson Trüg, Dr. Jörg Habetha
Ingenieur Giovanni P.
Lechner & Partner (München): Walter Lechner
Schroth & Kollegen (Karlsruhe): Klaus Schroth
Ingenieur Henning L.
Prof. Dr. Müller & Partner (München): Maximilian Müller, Claus Erhard
Staatsanwaltschaft München
Dominik Kieninger, Christian Schuster
Landgericht München II, 5. Wirtschaftsstrafkammer
Stefan Weickert (Vorsitzender Richter), Jürgen Krusche (Ergänzungsrichter), Uli Konrad (Beisitzer), Christoph Stein (Berichterstatter)
Hintergrund: Die Riege an Verteidigern steht ihren Mandanten von Beginn an in dieser Konstellation zur Seite. Das Verteidiger-Duo Thilo Pfordte und Ulrike Thole-Groll hatte das Mandat übernommen, als es noch bei Brehm & v. Moers tätig war. Anfang des Jahres machte sich Pfordte gemeinsam mit Dr. Jens Bosbach selbstständig und gründete Pfordte Bosbach. (Eva Flick; mit Material von dpa)