Ein Positionspapier stammt aus dem ‚Ausschuss Arbeitsrecht‘ im DAV. Das andere hat der neu gegründete ‚Arbeitskreis Arbeitsrecht‘ der im Forum Wirtschaftskanzleien im DAV organisierten Rechtsberatungsgesellschaften in die Debatte eingebracht. Beide Papiere halten fest, dass Arbeitszeitgesetz und anwaltliches Berufsrecht miteinander im Konflikt stehen. Die berufsrechtliche Pflicht, dem Mandanten immer und jederzeit zu helfen, mache eine Arbeitszeitgesetz-Compliance unmöglich. Die Kollision sei auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht lösbar. Daraus resultiert die Forderung: Angestellte Rechtsanwälte müssen vom Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen werden.
Das Papier des DAV-Ausschusses merkt zudem an, dass die Kollision zwischen Arbeitszeitgesetz und Berufsrecht sich auch organisatorisch, etwa mithilfe von Personalreserven, nicht vermeiden ließe. Anwaltliche Beratung sei ein personenbezogener Vertrauensdienst. Einfach eine zweite Garde aufzufahren, löse das Problem nicht. Zudem wären Personalmaßnahmen dieser Art insbesondere für kleine und mittlere Kanzleien nicht finanzierbar. Der Ausschuss weist außerdem darauf hin, dass die Ausübung des Anwaltsberufs im Angestelltenverhältnis „nicht mehr, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, als Ausnahmeerscheinung bezeichnet werden kann“.
Auf die Kollision zwischen Arbeitszeitgesetz und Berufsrecht schauen die Autoren des Arbeitskreis-Papiers aus der Perspektive der „Kanzlei als Arbeitgeber“. Die heute als Geschäftsführer, Kommanditisten und auch weiterhin als Equity-Partner ihrer Partnerschaftsgesellschaften agierenden Arbeitgeber sehen sich gegenüber ihren angestellten Anwältinnen und Anwälten in einer Pflichtenkollision. Die angestellten Anwälte agieren bereits überwiegend wie die selbstständigen Equity-Partner, die vom Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen sind.
Autonome Angestellte als Weg aus der Kollision
Die Autoren verdeutlichen, dass die Wirtschaftskanzlei als Arbeitgeberin häufig überhaupt keine Kenntnis habe, „ob und wann der angestellte Rechtsanwalt die tägliche Höchstarbeitszeit überschreitet oder die Ruhezeit nicht einhält“. Der Arbeitgeber sei bei der Mandatsbearbeitung gar nicht dabei und dürfe auch aus berufsrechtlichen Gründen keinen Einfluss nehmen. Angestellte Anwaltinnen und Anwälte beschreiben sie als „autonome Arbeitnehmer“, für die das Europarecht die Herausnahme aus dem Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes erlaube.
Dass andere Mitgliedstaaten genau diese rechtliche Grundlage nutzen, um angestellte Anwälte aus dem Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes herauszunehmen, bedeute für international tätige Kanzleien einen „erheblichen Wettbewerbsnachteil“. In der globalisierten Wirtschaft ginge dieser zu Lasten der hier ansässigen Unternehmen, „wenn etwa bei Transaktionen, Börsengängen oder Refinanzierungen die Verfügbarkeit der Rechtsberater vor Ort eingeschränkt ist.“
Trotz der zahlreichen inhaltlichen Überschneidungen unterscheiden sich die beiden Papiere vor allem in ihrer Argumentation. Dem ,Ausschuss Arbeitsrecht‘ beim DAV gehört ein diverser Kreis von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten an. Vorsitzende ist die Partnerin der Kölner Kanzlei RPO Rechtsanwälte, Dr. Nathalie Oberthür. Neben einigen Anwälte aus Kleinstkanzleien gehören auch bekannte Großkanzleijuristen wie Dr. Christian Arnold von Gleiss Lutz, Dr. Thomas Müller-Bonanni von Freshfields Bruckhaus Deringer oder Prof. Dr. Björn Gaul von CMS Hasche Sigle dazu.
Im Forum Wirtschaftskanzleien haben Vertreter von Noerr, Gleiss Lutz, Linklaters, Hengeler Mueller, Freshfields Bruckhaus Deringer, Görg und Clifford Chance gemeinsam am Positionspapier gearbeitet. Für das erst Ende 2022 gegründete Forum ist das Papier ein erster Arbeitsnachweis.