Nachdem die meisten internationalen Kanzleien ihren Rückzug aus Russland angekündigt haben, ist es schon eine Meldung wert, wenn jemand bleibt. So berichtete das US-Portal law.com diese Woche über die „German corporate law firm“ Advant Beiten, die „in a sharply counter-narrative move“ ihr Büro offenhält. Es klingt nach einer kleinen Sensation.
Im Einsatz für deutsche Mandanten
Bei näherem Hinsehen – und vor allem in der Selbstwahrnehmung – ist es das ganz und gar nicht. „Im Vergleich zu angelsächsischen Kanzleien ist unsere Situation auch eine andere“, sagt Philipp Cotta, Managing-Partner von Beiten. „Wir beraten kaum russische Mandanten, sondern sind in unserem Moskauer Büro überwiegend für deutsche und europäische Mittelständler und Konzerne und deren russische Tochtergesellschaften tätig.“
Im Moskauer Beiten-Büro arbeiten 18 Berufsträger, alle sind Russen, mit Ausnahme des Standortleiters Falk Tischendorf. Der berät als Expat seit 12 Jahren am Standort Moskau. Derzeit ist das Hauptthema der meisten Mandanten akutes Krisenmanagement. Die MDP-Kanzlei Rödl hat an den Standorten Moskau und St. Petersburg rund 200 Mitarbeiter – und ebenfalls keine Pläne, daran etwas zu ändern.
Selbst wenn die Kanzleien es wollten: Rechtlich wäre es schwierig, die Arbeit in Russland einzustellen. Der Krieg in der Ukraine ist, so schrecklich er ist, kein Fall von Force majeure, der die Arbeit für deutsche Mandanten in Russland per se in Frage stellt. Für die meisten Unternehmen bedeutet die aktuelle Situation in Russland eine akute Krise mit hohem Beratungsbedarf, und wenn sich über Nacht die Anwälte verabschieden würden, käme schnell die Frage auf, ob das berufsrechtlich in Ordnung wäre.
„Nie war Rechtsberatung vor Ort so wichtig“
Beiten-Partner Cotta betont: „Unsere überwiegend deutschen und europäischen Mandanten verfügen in Russland über große, oft in internationale Lieferketten eingebundene Produktionsstandorte und stehen deshalb gerade jetzt vor großen Herausforderungen.“ Deshalb seit es der Kanzlei ein Anliegen, ihr Büro in Moskau offenzuhalten. „Denn wir wollen für unsere Mandanten in dem Moment da sein, in dem sie so dringend wie nie auf Rechtsberatung vor Ort angewiesen sind.“
Wie geht es weiter? „Natürlich sind Prognosen in dieser dynamischen Situation schwierig“, sagt Cotta. „Aber wir haben derzeit keine konkreten Pläne, uns aus Russland zurückzuziehen.“
Viele haben Russland schon vor dem Krieg verlassen
Schon vor Beginn des Ukraine-Krieges haben sich unter dem Eindruck der Gesamtentwicklung in Russland mehrere Kanzleien aus dem Land zurückgezogen – vor allem US-Kanzleien. 2015 schloss K&L Gates ihr Moskauer Büro, 2018 folgte Orrick Herrington & Sutcliffe, und 2019 zogen sich Jones Day und Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan aus Russland zurück. Im vergangenen Jahr gab auch King & Spalding nach 10 Jahren ihre Präsenz in der russischen Hauptstadt auf.
Zum Jahreswechsel hatte sich zuletzt Noerr nach 28 Jahren aus der russischen Hauptstadt zurückgezogen. Ein fünfköpfiges Team, zu dem auch der bisherige Leiter des Noerr-Standortes Stefan Weber gehört, machte sich unter dem Namen Arno Legal selbstständig. „Wir haben schon seit längerer Zeit überlegt, uns aus Russland zurückzuziehen und statt dessen vor Ort mit einem Partner zu kooperieren“, sagte damals, im Januar, Dr. Alexander Ritvay, Co-Managing-Partner von Noerr. „Denn die sich ändernden rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben es für uns als westliche Großkanzlei immer schwerer gemacht, weiter mit einem eigenen Büro vor Ort zu bleiben.“