Streitgespräch zum Wirtschaftsstrafrecht

„Uns drohen stromlinienförmige Klone“

Strafrecht in der Großkanzlei: Ist das sinnvoll, kann das gutgehen? Ja, sagt die Strafverteidigerin Simone Kämpfer. Sie wechselte aus einer Boutique zu Freshfields Bruckhaus Deringer. Nein, widerspricht der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate: Großkanzleien sollten die Finger vom Strafrecht lassen. Ein Streitgespräch über Berufsethos, Marktverschiebungen, Mandatskonflikte.

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Simone Kämpfer
Simone Kämpfer

Dr. Gerhard Strate (69) zählt zu den prominentesten deutschen Strafverteidigern. Er hat das Justizopfer Gustl Mollath vertreten, Carsten Maschmeyer in Sachen Cum-und VW-Patriarch Ferdinand Piëch in der Dieselaffäre. Regelmäßig bringt er sich auch in rechtspolitische Debatten ein. Die renommierte Strafverteidigerin Dr. Simone Kämpfer (52) war Partnerin der Strafrechtsboutique Thomas Deckers Wehnert Elsner, bevor sie Anfang 2018 zu Freshfields wechselte – ein im Markt viel beachteter Schritt.

JUVE: Herr Strate, warum passen Großkanzleien und Strafrecht Ihrer Ansicht nach nicht zusammen?

Strate: Weil das Abrechnungsmodell von Großkanzleien strukturell auf Betrug am Mandanten ausgelegt ist.

Dr. Simone Kämpfer: Hoppla, nun haben wir aber gleich ein echtes Streitgespräch!

Strate: Ich kann es erklären.

Kämpfer: Bitte.

Gerhard Strate
Gerhard Strate

Strate: Das Problem ist schlicht das Stundenhonorar, das vor allem in Großkanzleien die anwaltliche Berufsausübung seit mittlerweile 15 bis 20 Jahren massiv regiert. Betrug meine ich nicht im strafrechtlichen, sondern im landläufigen Sinne. Es ist doch so: Das Stundenhonorar verführt dazu, möglichst viel Aktivität zu entfalten, auch wenn das im Mandanteninteresse gar nicht erforderlich ist. Im Strafrecht kann es sogar schädlich sein – und zwar nicht nur in dem Sinne, dass Geld des Mandanten verbrannt wird, wenn etwa einfachste Rechtsfragen auf dreißig Seiten ausgebreitet werden, die ich auf einer halben Seite abgehandelt hätte.

Kämpfer: Ich glaube nicht, dass das ein struk­tu­relles Problem von Großkanzleien ist. Wirtschaftsstrafrechtsboutiquen rechnen üblicherweise ebenso nach Stundenhonoraren ab. Es liegt in der Verantwortung jedes Anwalts selbst, seine Tätigkeit nicht unnötig aufzublähen. Es gibt Fälle, in denen es sinnvoll und richtig ist, viel Aktivität zu entfalten, und es gibt andere Fälle. Daran muss ich als Anwalt mein Handeln ausrichten, egal, ob in der Großkanz­lei oder in der Boutique.

Warum entdecken viele Großkanzleien das Strafrecht für sich?

Kämpfer: Wenn ein Unternehmen ein wirtschaftsstrafrechtliches Problem hat, kann das in der Regel nicht ein Fachbereich allein lösen. Unternehmen sind heute umfangreichen Pflichten unterworfen, etwa im Aktien- und Gesellschaftsrecht. Diese Pflichten müssen im Strafverfahren mitberücksichtigt werden – und das geht am besten, wenn Experten aus diesen Bereichen mit Strafrechtlern und Experten für Internal Investigations und Compliance in einem Team zusammenarbeiten. Dafür ist niemand so gut aufgestellt wie Großkanzleien.

Strate: Also, einen generalistischen Ansatz haben aber doch Boutiquen, die sich mit Wirtschafts­strafsachen befassen, nach wie vor auch. Natürlich kann es hilfreich sein, wenn im Nebenzimmer ein Kollege sitzt, der sich regel­mäßig mit Gesellschaftsrecht befasst. Aber können deshalb Großkanzleien per se schnellere Antworten geben? Da bin ich skeptisch. Seit mehr als drei Jahren arbeiten zum Beispiel hunderte von An­wälten angeblich daran herauszufinden, wer bei VW für den Skandal mit der Abschalteinrichtung verantwortlich ist, und man muss sich fragen: Welche Antworten sind bisher dazu gefunden worden?

Oft hören wir: Strafrechtler, die in nennenswertem Umfang weiter Individualverteidigung bieten wollen, lassen sich schwer ins Honorargefüge einer Großkanzlei integrieren.

Kämpfer: Ich glaube, man muss heutzutage niemanden mehr davon überzeugen, dass auch für eine Großkanzlei das Wirtschaftsstrafrecht wirtschaftlich hochinteressant ist. Nehmen Sie das als meine Antwort. Entscheidend ist aus Sicht der Kanzlei: Es werden sich nur die am Markt behaupten, die ein klares Bekenntnis zum Strafrecht abgeben und sich strukturell entsprechend ausrichten.

Strate: Also, das Bekenntnis zum Strafrecht finde ich gut, aber es ist natürlich primär ein Bekenntnis zum Wirtschaftsstrafrecht. Mittlerweile erlebe ich junge Kollegen, die gerade mal zwei Jahre zuge­lassen sind, aber schon Wirtschaftsstrafrecht auf ihre Visitenkarte schreiben. Die wollen eine klare Botschaft aussenden: Verschone mich mit Man­daten, die wenig Geld bringen. Ich habe ein bisschen Angst, dass wir mit diesem Bekenntnis allein zum Wirtschaftsstrafrecht stromlinienförmige Klone heranziehen – eine Gilde von Strafverteidigern, die nur noch White Collar betreiben und bei der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt den Akzent nicht mehr auf der ersten Silbe sehen.

Wahr oder falsch: Je stärker Großkanzleien im Strafrecht aufrüsten, desto eher können Unternehmen nach einer Investigation darauf verzichten, zu ihrer Verteidigung noch eine weitere Kanzlei hinzuzuziehen?

Kämpfer: Davon bin ich überzeugt, ja. Es wird auch weniger Mandate aus den Großkanzleien für die Boutiquen geben. Die Unternehmen, die wir verteidigen, nehmen heute schon keine Boutique mehr dazu. Die freuen sich, dass sie alles aus einer Hand bekommen. Das wird immens angenommen, und deswegen glaube ich auch, dass sich da noch Marktverschiebungen ergeben werden.

Strate: Aus Sicht von Freshfields will ich Ihrer Marktbeschreibung, Frau Kämpfer, gar nicht widersprechen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es nach wie vor einen starken Markt für kleine Kanzleien gibt, die aus hartgesottenen und in die Wolle gefärbten Strafverteidigern gebildet werden. Ich habe bestimmte Fälle vor Augen, auch Wirtschaftsstrafsachen, in denen wir Ideen gehabt haben, auf die – verzeihen Sie es – viele ­junge Kollegen bei Freshfields nicht gekommen wären.

Kämpfer: (lacht) Damit meinen Sie ja wohl auch nicht unseren Strafrechtsbereich!

Strate: Es gibt einfach Fälle, in denen die Ideen geboren werden aus der Kampferfahrung, mit der man als junger Kollege zunächst im Gerichtssaal und auch dann am Schreibtisch und in seinen Schriftsätzen die Gegenseite attackiert hat. Diese penible Prüfung aller Fehlerquellen der Gegenseite, die ist schon nach wie vor primär beheimatet bei kleinen Kanzleien wie unserer. Darf ich Sie zum Schluss noch was fragen?

Kämpfer: Na klar!

Strate: Würden Sie mich auch nehmen bei Freshfields?

Lesen Sie die Antwort und noch viel mehr zum Wirtschaftsstrafrecht im aktuellen JUVE Rechtsmarkt 6/2019

Das Gespräch führten Marc Chmielewski und Christiane Schiffer.

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