Die Organisation „Stichting Volkswagen Car Claim“ hatte sich vor knapp zwei Jahren gegründet, kurz nachdem der Dieselskandal bei VW bekannt wurde. Seitdem habe man laut Vorstandsmitglied Guido van Woerkom vergeblich versucht, eine außergerichtliche Einigung mit Volkswagen zu erreichen. Nun geht die Organisation in die Offensive: Sie kündigte am Dienstag an, repräsentativ für rund 180.000 betroffene Autobesitzer in den Niederlanden ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Der Schritt soll vor allem weitere betroffene Autobesitzer mobilisieren – und so Volkswagen sowie den Zulieferer Bosch und die Autohändler unter Druck setzen.
Die niederländische Stiftung hat in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Großbritannien Verbündete. In Großbritannien wird die Klage von Harcus Sinclair vertreten, in Österreich wirbt der Wiener Anlegerschutzanwalt Eric Breiteneder und in Deutschland Baum Reiter & Collegen für die Organisation. Nach deren Angaben haben sich hierzulande bereits 20.000 Geschädigte registriert, mehrere hundert davon seien auch bereit, zu klagen.
In den Niederlanden gibt es die Möglichkeit einer Feststellungsklage, bei der ein Sachverhalt für einen Musterkläger stellvertretend für alle Betroffene entschieden wird. Aus dem „Opt-out“-Verfahren kann sich ausklinken, wer den ausgehandelten Vergleich nicht gut findet, und dann wieder auf eigene Faust Ansprüche einklagen.
Klägeranwälte machen Druck
Hierzulande sind bereits einige Kläger eigenständig vor die Gerichte gezogen. Rund 3.000 Verfahren sind wegen der Abgasmanipulation derzeit anhängig, zehn Prozent wurden bereits – überwiegend zugunsten von VW – entschieden. In etwa einem Viertel der Fälle ergingen allerdings auch Urteile im Sinne der Kunden, die teils gegen Händler, teils gegen VW in erster Instanz erfolgreich waren. So urteilte das Landgericht München, Kunden könnten den Kaufvertrag anfechten und den Kaufpreis zurück fordern. Das Landgericht Hildesheim verurteilte VW im Januar wegen vorsätzlicher Verbrauchertäuschung zu Schadenersatz.
Klägeranwalt Gerhart Baum sieht gute Chancen für eine Gewinnabschöpfungsklage. Er kritisiert den Konfrontationskurs, den VW derzeit „mit unhaltbaren Argumenten“ zulasten der Kunden fahre. Denn bislang setzt der Autobauer in Europa – anders als in den USA – auf Reparatur statt Entschädigung. Einen außergerichtlichen Vergleich lehnt VW kategorisch ab. Nach dem Softwareupdate halten die Kraftfahrzeuge die gesetzlichen Vorgaben in Europa wieder ein, so seine Argumentation. Bei der Abwehr der Kundenklagen, aber auch zu anderen Fragen bezüglich des Dieselskandals, wird der Konzern bekanntermaßen umfassend von Freshfields Bruckhaus Deringer beraten.
Umstrittene Sammelklagen
Doch auch das Vorgehen der holländischen Stichting ist im Markt nicht unumstritten. Das liegt daran, dass hinter ihr die New Yorker Großkanzlei Labaton Sucharow steht, die die Klage finanziert und im Erfolgsfall 18 Prozent der Streitsumme kassiert.
Ein ähnliches Modell fährt in Deutschland der Anbieter Myright, der mit der Kanzlei Hausfeld kooperiert. Beide „Klageanbieter“ werden von Prozessfinanzierern gestützt, die gegen eine Erfolgsbeteiligung die Anwalts- und Gerichtskosten vorschiessen, sodass die Klage für den Verbraucher kostenlos bleibt.
Die Begehrlichkeiten sind groß, denn die Anwälte blicken auf die großen Schadenersatzsummen und demgemäß hohe Erfolgshonorare, die in den USA üblich sind. Dort zahlte VW bei rund 500.000 betroffenen Autos zehn Milliarden Euro in einem Vergleich. In Europa ist die Zahl der manipulierten Autos mit 8,5 Millionen weitaus höher.
In Deutschland können bislang nur Anleger über das Musterverfahren für kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten (KapMuG) gemeinsam Ansprüche geltend machen. Die Idee, eine Art Sammelklage auch in Deutschland einzuführen, war über den Fall VW zuletzt angeheizt worden. Ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zu Musterfeststellungsklagen für Verbraucher verlief dann aber im Sande.