In München ging es um eine Klage mehrerer Bundesländer auf 50 Millionen Euro Schadensersatz und eine Klage der Bahn auf 395 Millionen Euro. Inklusive Zinsen geht es insgesamt um mehr als eine halbe Milliarde. Die Bahn hatte sich die Ansprüche mehrerer weiterer Unternehmen sowie der Bundeswehr abtreten lassen (Az. 37 O 18602/17). Diese hat sie im Klagevehikel DB Competition gebündelt, das als Inkassodienstleister fungiert.
Das LG München hatte Klägervertretern im vergangenen Jahr einen Schock versetzt, als es eine Klage des Inkassodienstleisters Financialright abwies, weil dessen Abtretungsmodell nach Auffassung der Kammer gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstößt. In der Sache hatte sich das Gericht mit dem Fall dann gar nicht erst befasst. Inzwischen liegt das Verfahren beim OLG, und die Szene verfolgt gespannt den Umgang der Gerichte mit Abtretungsmodellen. Diese spielen vor allem im Kartellschadensersatz eine Rolle, aber auch etwa im Zusammenhang mit Fluggastrechten oder Kundenklagen im Dieselskandal.
Kläger überwinden eine wichtige Hürde
Aus Klägersicht ist es ein ermutigendes Signal, dass im Fall DB Competition nun dieselbe Kammer unter der Vorsitzenden Dr. Gesa Lutz, die die Financialright-Klage abgewiesen hatte, in die Beweisaufnahme eintritt. Denn wenn die Kammer die zugrundeliegenden Abtretungsmodelle für unzulässig erachten würde, würde sie ja wohl keinen Beweisbeschluss fassen, so die Lesart vieler Klägervertreter.
Warum sagt die Kammer im Fall Financialright, das Abtretungsmodell ist unzulässig, und sieht es bei DB Competition aber offenbar anders? Ausdrücklich begründet sie es nicht. Möglich ist, dass die Modelle sich doch in einigen Punkten unterscheiden. So steht bei der Bahn etwa kein Prozessfinanzierer hinter der Klage. Mögliche Interessenkonflikte, die sich durch die Prozessfinanzierung ergeben könnten, spielten bei der Financialright-Entscheidung eine Rolle. Hinter der Entscheidung Financialright stand als Berichterstatter maßgeblich Dr. Thomas Pfeiffer, der im Fall DB Competition nicht involviert ist.
Nun müssen im Fall Bahn wie auch in einer Klage von 13 Bundesländern gegen das Lkw-Kartell Gutachter klären, ob die Forderungen in Höhe von insgesamt fast 450 Millionen Euro berechtigt sind. Das Landgericht München bestellte die Ökonomen Prof. Dr. Oliver Falck vom Münchner Ifo-Institut und Dr. Johannes Koenen zu Sachverständigen. Insgesamt sind in München mehr als 100 Zivilklagen gegen Daimler und andere Lkw-Hersteller anhängig.
Kartell und Kriegsgerät
Neben den Beweisbeschlüssen haben die Münchner Richter entschieden, dass eine Spezialfrage des Bahnverfahrens dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt wird: Sind die Bundeswehr-Lkw kartellbetroffen oder nicht? Man kann die Bußgeldentscheidung so lesen, dass es bei Militärfahrzeugen generell kein Kartell gab, man kann sie aber auch so auffassen, dass es nur bei Kampffahrzeugen kein Kartell gab, wohl aber bei ganz normalen Lastwagen, die es in der Armee ja auch gibt. Dass über solche Fragen nun überhaupt weiter gestritten werden kann, ist aus Klägersicht ein Erfolg.
Vor dem OLG Stuttgart wurde derweil erneut der Fall des Lkw-Kunden Matthäi verhandelt, eines Bauunternehmens aus Verden. Es war der erste Fall aus dem Lkw-Kartell, zu dem der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden hatte. In mehreren Fragen, etwa zur Verjährung oder zur sogenannten Kartellbetroffenheit, fiel das BGH-Urteil klägerfreundlich aus.
Wenn Richter rechnen sollen
Zur entscheidenden Frage aber, wie ein etwaiger Schaden sich beziffern ließe, muss nun das OLG Stuttgart noch einmal ran. In früheren Verfahrensstadien durfte Klägerin Matthäi hoffen, mit einer etwas hemdsärmeligen Schadensberechnung auf Basis eines allgemeinen Preisindexes für Baumaschinen durchzudringen. Inzwischen hat der BGH in einem weiteren Fall aus dem Lkw-Kartell entschieden, dass Instanzgerichte sich mit Regressionsanalysen auseinandersetzen müssen, wenn Parteien diese umfangreichen und komplexen ökonomischen Gutachten vorlegen.
Genau das passiert nun im Fall Matthäi. Die beklagten Lkw-Hersteller sollen dem Senat ihre Berechnungen vorlegen. Wenn die Richter aus dieser ökonomischen Spezialmaterie nicht schlau werden, was anzunehmen ist, dann können sie ihrerseits Gutachter bestellen. Sie könnten im konkreten Fall aber auch sagen: Warum sollten überhaupt wir uns mit diesen Fragen herumschlagen, die eigentlich schon die Vorinstanz hätte prüfen sollen? Es gilt als wahrscheinlich, dass zum Verkündungstermin im Dezember der Fall an das LG Stuttgart zurückverwiesen wird, von wo er in Form eines Grundurteils 2018 den Weg zum BGH und zurück angetreten hatte.
Vertreter DB Competition (LG München, Az. 37 O 18602/17)
Osborne Clarke (Köln): Dr. Thomas Funke (Kartellrecht), Alexander Kirschstein (Prozessführung), Anne Wittmann (Prozessführung; München), Ghazale Mandegarian-Fricke (Kartellrecht), Christoph Kauffmann; Associates: Seraina Kokkinos (Berlin), Hannes Janßen (alle Prozessführung), Dr. Thomas Knapowski (Kartellrecht), Florian Ohligschläger, Kai Pepping
Vertreter Bundesländer (LG München, Az. 37 O 8933/18)
Redeker Sellner Dahs (Bonn/Brüssel): Dr. Andreas Rosenfeld (Kartellrecht), Prof. Dr. Peter-Andreas Brand (Prozessführung; Berlin); Associates: Liza Schäfer, Julia Pieper (beide Kartellrecht), Dr. Leslie Manthey (Öffentliches Recht)
Vertreter Rudolf Matthäi (LG Stuttgart, Az. 2 U 101/18)
Meyer Jansen Gussone (Berlin): Dr. Peter Gussone, Daniel Jansen (beide Kartellrecht)
Vertreter MAN
Hengeler Mueller (Düsseldorf): Dr. Daniel Zimmer, Dr. Thorsten Mäger (beide Kartellrecht/Prozessführung); Associates: Dr. Sarah Milde, Christian Jopen, Dr. Sebastian Dworschak, Dr. Philipp Neideck (alle Kartellrecht), Dr. Ralf Willer (Prozessführung)
Inhouse Recht (München): Martin Gstaltmeyr (General Counsel MAN Truck & Bus), Anja Döring (Senior Legal Counsel MAN Truck & Bus)
Vertreter Daimler
Gleiss Lutz (Stuttgart): Dr. Ulrich Denzel (Kartellrecht), Dr. Stefan Rützel (Prozessführung; Frankfurt), Dr. Carsten Klöppner (Kartellrecht), Dr. Lukas Schultze-Moderow; Associates: Dr. Henriette Sigmund, Dr. Arne Behnke (alle Prozessführung; alle Hamburg)
Inhouse Recht (Stuttgart): Christian Koch (Associate General Counsel), Volker Abele, Ute Pazer, Miklos Mudrony
Vertreter Volvo/Renault
Freshfields Bruckhaus Deringer (Düsseldorf): Roman Mallmann (Federführung; Prozessführung), Thorsten Matthies; Associates: Jan-Henning Buschfeld, Elena Engels, Dr. Franziska Leinemann (alle Prozessführung)
Vertreter Iveco/Fiat
Buntscheck (München): Dr. Martin Buntscheck, Dr. Tatjana Mühlbach, Dr. Andreas Boos; Associates: Hanna Stichweh, Eva Grünwald, Dr. Martin Malkus, Dr. Julia Molestina, Franziska Schieber, Dr. Florian Hinderer, David Pfeuffer (alle Kartellrecht)
Herbert Smith Freehills (Frankfurt): Dr. Mathias Wittinghofer (Prozessführung), Dr. Marcel Nuys, Dr. Florian Huerkamp; Associates: Mirko Gleitsmann (alle Kartellrecht; alle Düsseldorf), Nils Kupka (Prozessführung)
Vertreter DAF
Noerr: Dr. Fabian Badtke (Kartellrecht; Frankfurt), Dr. Henner Schläfke (Berlin), Dr. Tobias Lühmann (beide Prozessführung), Peter Stauber (Kartellrecht); Associates: Katharina Fenzl, Marco Leck, Lea Stegemann (alle Prozessführung; alle Berlin)
Landgericht München I, 37. Kammer
Dr. Gesa Lutz (Vorsitzende Richterin)
OLG Stuttgart, 2. Zivilsenat
Christoph Stefani (Vorsitzender Richter), Gerhard Wahle, Dr. Klaus Hofmann
Hintergrund: Auf Seiten der Lkw-Hersteller sind die Kanzleien tätig, die den riesigen Schadensersatzkomplex seit der Bußgeldentscheidung von 2016 begleiten.
Für Iveco/Fiat hat Buntscheck in den deutschen Verfahren die Federführung. Herbert Smith bringt in dieses Verfahren vor allem Prozess-Know-how im Zusammenhang mit Abtretungsmodellen ein. Dieses ist deshalb in vielen großen Schadensersatzfällen so entscheidend, weil hier für beklagte Kartellanten das große Totschlagargument liegt: Gelingt es ihnen, Klagen aus formalen Gründen scheitern zu lassen, etwa weil die Kläger nicht RDG-konform aufgestellt sind, braucht über die Sache an sich – nämlich Kartellvergehen und Schadensersatz – nicht mehr weiter gesprochen werden.
Ob irgendwann Milliarden an Schadensersatz gezahlt werden müssen, hängt also erst mal an dieser entscheidenden prozessualen Frage. Entsprechend umkämpft ist sie auf allen Ebenen: vor Instanzgerichten und dem BGH, aber auch in Überlegungen des Gesetzgebers.
Die Baufirma Matthäi hatte die Klage ursprünglich über ihren Stammanwalt Ulrich Ide von der Hamburger Kanzlei Ide Schneider & Partner eingereicht. Als die Erwiderung von Gleiss vorlag, zog das Bauunternehmen den Kartellrechtler Gussone hinzu.
Osborne Clarke-Partner Funke gehört zu den renommiertesten deutschen Kartellschadensersatz-Spezialisten auf Klägerseite. Für die Bahn ist es Funkes erster großer Fall. Osborne Clarke hatte sich nach der Lkw-Bußgeldentscheidung der Kommission im Sommer 2016 in einem Pitch für Follow-on-Klagen durchgesetzt. Es gibt ein weiteres bekanntes Großverfahren der Bahn, in dem eigene und Ansprüche anderer Unternehmen gebündelt geltend gemacht werden: eine Milliardenklage gegen das Luftfrachtkartell vor dem LG Köln. Darin wird die Bahn von Redeker Sellner Dahs und Raue vertreten.
Rosenfeld, der die Bahn im Luftfrachtkartell vertritt, gehört ebenfalls zu den renommierten Schadensersatzspezialisten. Dass er alle Bundesländer mit Ausnahme von Saarland, Schleswig-Holstein und Hamburg auch gegen das Lkw-Kartell vertritt, ist auch deshalb naheliegend, weil kaum eine Kanzlei so oft für den Staat und seine Institutionen im Einsatz ist wie Redeker. Im Münchner Verfahren arbeiten die Länder, anders als die Geschädigten hinter der Bahnklage, nicht mit einem Abtretungsmodell, sondern sie haben sich zu einer Streitgenossenschaft zusammengeschlossen. Damit haben sie eine prozessuale Hürde weniger zu nehmen als DB Competition.