Generalanwalt Nils Wahl kommt in seinem Schlussantrag zu dem Ergebnis, ausländische Fahrzeughalter würden durch die geplante Pkw-Maut in Deutschland nicht diskriminiert. Er empfahl den EuGH-Richtern daher, die Klage Österreichs gegen die Pläne der Bundesregierung abzulehnen. Das Gutachten ist allerdings nicht verbindlich, ein Urteil in der Sache dürfte im Frühsommer fallen.
Wahl argumentierte, die Klage Österreichs beruhe auf einem grundlegenden Missverständnis des Begriffs Diskriminierung. Zwar seien Halter inländischer Fahrzeuge hauptsächlich deutsche Staatsbürger, während Fahrer ausländischer Fahrzeuge überwiegend Staatsangehörige eines anderen EU-Staats seien. Letztere seien jedoch niemals verpflichtet, deutsche Kraftfahrzeugsteuer zu zahlen. Zudem könnten sie sich – im Gegensatz zu deutschen Haltern – für eine günstigere Vignette mit kürzerer Dauer entscheiden und somit weniger zahlen.
Der Generalanwalt erachtete auch Argumente für nicht stichhaltig, dass die im Zug der Pkw-Maut vorgesehenen Kontroll- und Vollzugsmaßnahmen Angehörige anderer Staaten benachteiligen würden. Der Transport und die Lieferung von Waren über die Landesgrenzen hinweg werde ebensowenig eingeschränkt.
Gemeinsam mit den Niederlanden als Streithelfer hatte Österreich im Oktober 2017 gegen das politische Prestigevorhaben des früheren Berliner Verkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt. Die Pkw-Maut soll auf deutschen Bundesstraßen und Autobahnen ab Oktober 2020 fällig sein. Für deutsche Autofahrer soll als Ausgleich dafür die Kfz-Steuer deutlich sinken, sodass sie nicht stärker mit Abgaben belastet sind.
Trotz eigener Mautpflicht geklagt
In Österreich besteht seit vielen Jahren auf allen Autobahnen und Schnellstraßen für sämtliche Verkehrsteilnehmer eine Mautpflicht. Die Maut wird von Autofahrern durch den Kauf einer Vignette entrichtet, für manche Autobahnabschnitte gibt es zudem eine streckenbezogene Abgabe. Die Vignette muss für mindestens zehn Tage gekauft werden. Eine Jahresvignette kostet knapp 90 Euro.
Sollte die Klage Österreichs gegen die deutsche Pkw-Maut vor dem EuGH scheitern, will der österreichische Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) ein ähnliches Mautmodell für die Alpenrepublik prüfen. Wenn die EU erlaube, ausländische Verkehrsteilnehmer stärker zur Kasse zu bitten und gleichzeitig einheimische Autofahrer zu entlasten, dann sollte auch Österreich das tun, erklärte der FPÖ-Politiker und gescheiterte Präsidentschaftskandidat. Hofer betonte zudem, dass sich Gebührenregelungen mit Ausnahmen für Einheimische auch auf andere Bereiche wie etwa Studiengebühren übertragen ließen.
Nach Österreich vergeben
Die mit der Maut verbundenen Aufträge hat das Berliner Verkehrsministerium weitgehend vergeben. Bei der Mauterhebung setzte sich ein Gemeinschaftsunternehmen des österreichischen Unternehmens Kapsch TrafficCom und CTS Eventim durch. Es sicherte sich so ein Auftragsvolumen von rund zwei Milliarden Euro, die Laufzeit beträgt mindestens 12 Jahre.
Vertreter Deutschland
Prof. Dr. Christian Hillgruber (Bonn)
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Berlin): Thomas Henze (Referatsleiter), Dr. Sonja Eisenberg
Vertreter Österreich
Verfassungsdienst (Wien): Dr. Gerhard Hesse (Sektionsleiter), Dr. Julia Schmoll, Dr. Claudia Drexel
Europäischer Gerichtshof, Luxemburg, Große Kammer
Koen Lenaerts (Präsident), Rosario Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), Jean-Claude Bonichot, Alexander Arabadjiev, Eugene Regan, Dr. Constantinos Lycourgos, Dr. Allan Rosas, Endre Juhász, Dr. Marko Ilešič, Jiří Malenovský, Carl Gustav Fernlund, Peter George Xuereb, Dr. Nuno Piçarra, Lucia Serena Rossi, Dr. Irmantas Jarukaitis (alle Richter)
Generalanwalt am EuGH
Dr. Nils Wahl
Hintergrund: Bei der Klage Österreichs gegen Deutschland handelt es sich um einen von bislang acht Fällen, in denen ein EU-Mitgliedstaat einen anderen verklagt. Die EU-Kommission hatte in Sachen Pkw-Maut schon 2015 ein eigenes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland auf den Weg gebracht, stellte es jedoch 2017 ein. In der Zwischenzeit hatte die Berliner Bundesregierung umstrittene Teile der Mautvorschriften entschärft.
Österreich zog daraufhin selbst vor den EuGH, die Niederlande unterstützten das Ansinnen. Vor Gericht traten für die dortige Regierung Vertreter des Ministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz auf. Gutachterlich hatte das Verkehrsministerium in Wien auf Prof. Dr. Walter Obwexer von der Universität Innsbruck zurückgegriffen.
Der Bonner Lehrstuhlinhaber Christian Hillgruber war in der Angelegenheit bereits 2014 gutachterlich für das deutsche Wirtschaftsministerium tätig. Auch in Anhörungen des Verkehrsausschusses im Bundestag hatte er 2017 erläutert, dass die Mautpläne des Ministeriums mit EU-Recht vereinbar seien. Aus diesen Vorarbeiten entsprang schließlich das Mandat für das Verfahren und die Verhandlung vor der Großen Kammer des EuGH. Im Berliner Wirtschaftsministerium war der Referatsleiter Thomas Henze für das Vertragsverletzungsverfahren zuständig. Dänemark trat auf deutscher Seite als Streithelfer auf, ebenfalls vertreten durch Mitarbeiter aus dem Außenministerium.