Girocard-Kartell

Pyrrhussieg für Kläger – aber am Ende gewinnt die Bank

Es war ein Verhandlungsmarathon, wie es ihn noch nie gab am Landgericht Berlin. Über zwei Wochen brütete die 16. Zivilkammer über elf riesigen Kartellschadensersatzklagen zu Händlerentgelten. Der sogenannte EC-Cash-Fall beschäftigt Heerscharen von Kartellrechtlern seit Jahren. Die nun ergangenen Urteile sind aus Klägersicht ernüchternd.

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Jörg Karenfort

Immerhin: Dass die jahrelange Praxis von Banken, einheitliche Gebühren bei Kartenzahlungen zu verlangen, ein Kartellrechtsverstoß war, hat das Landgericht Berlin nun glasklar festgestellt. Es hat sogar vier von elf klagenden Unternehmen Schadensersatz zugesprochen – das allein ist bemerkenswert für Kartellschadensersatzverfahren, die sich sonst gut und gern auch mal über ein Jahrzehnt hinziehen, ohne dass jemand einen Cent zugesprochen bekommt.

Schadensersatz in homöopathischer Dosis

Zufrieden wird damit trotzdem kein Kläger sein. 150 Millionen Euro hatten die elf Klägergruppen insgesamt gefordert. Nun sollen fließen, verteilt auf die vier Kläger Agravis, Praktiker, Deichmann und Deutsche Post: 1.051.941 Euro und 55 Cent – 0,7 Prozent der geforderten Summe und wahrscheinlich zu wenig, als dass auch nur die Kosten für Anwälte, Ökonomen und Justiz gedeckt wären.

Die größten Klagen kamen von den Tankstellenbetreibern Jet (33 Millionen Euro) und Shell (31 Millionen). Beide wurden komplett abgewiesen, wie auch die von Esso und Eni. So erging es auch der Drogeriekette Rossmann, die 8,5 Millionen Euro Schadensersatz forderte: Aus Sicht des Gerichts hat Rossmann nicht ausreichend dargelegt, dass Schaden entstanden ist – und in welcher Höhe.

Das hochoffizielle Kartell

Kathrin Westermann

Hintergrund des Streits: Ab 1990 mussten Unternehmen in Deutschland beim Electronic-Cash-System für jeden Zahlungsvorgang mit der Giro- oder EC-Karte ein von den Bankverbänden festgelegtes, einheitliches Entgelt an die Bank zahlen, die die Karte ausgegeben hat. Es betrug 0,3 Prozent des jeweiligen Umsatzes, mindestens aber 8 Cent. Für Zahlungen an Tankstellen galt ein verringerter Satz.

Das System hatte bereits damals Kontroversen ausgelöst. Aus Sicht des Bundeskartellamtes beschränkte ein einheitliches, durch die Banken festgelegtes Entgelt den Wettbewerb. Es dauerte aber bis 2014, bis die deutschen Banken dieses Vorgehen auf Druck der Behörde aufgaben. Seither sind die Gebühren für Girocard-Zahlungen gesunken.

Die Kläger sagen: Die Gebühren sind gesunken, weil es vorher ein Kartell gab. Die Banken sagen: Sie sind gesunken, weil eine neue Regulierung die Gebühren gedrückt hat. Was die Sache EC-Cash ebenfalls kompliziert macht und zu den im Vergleich zur geforderten Summe mickrigen Schadensersatzbeträgen geführt hat: Verjährungsfragen.

Alles vor 2009 ist verjährt

János Morlin

Dass die Banken die Gebühren kassieren, war offiziell bekannt. Das macht einen großen Unterschied, wenn es um Schadensersatz geht. Die Verjährung eines Verstoßes beginnt mit seinem Bekanntwerden – bei klandestinen Kartellen also oft viele Jahre nach dem Verstoß, wenn alles aufgeflogen ist. Im Fall von EC-Cash, wo die Gebühren bekannt waren, tickt die Verjährung sofort ab Zahlung. Das bedeutet, alle Ansprüche von vor 2009 sind nach Ansicht des Gerichts verjährt. Dass manche Ansprüche aber bis 1991 zurückgingen, erklärt zum Teil die hohe Differenz zwischen Forderungen und zugesprochenem Schadensersatz. 

Dass die Tankstellen allesamt komplett leer ausgingen, hat auch damit zu tun, dass sie ohnehin reduzierte Gebührensätze gezahlt haben. Das Gericht sah im Fall der Mineralölkonzerne „weit überwiegend keinen kartellrechtlich relevanten Schaden“.  Den höchsten Einzel-Schadensersatz bekam der Schuhhändler Deichmann zugesprochen: gut 352.000 Euro plus Zinsen. Gefordert hatte das Unternehmen 9,5 Millionen. 

Die Spitzenverbände von Banken und Sparkassen sehen sich insgesamt in ihrer Haltung bestätigt. „Das Electronic-Cash-Verfahren war zu jedem Zeitpunkt für den Handel deutlich günstiger als kreditkartenbasierte Zahlungsverfahren“, hieß es in einer Mitteilung. Mehrere Kläger wollen dem Vernehmen nach in Berufung gehen. 

Alex Petrasincu

Vertreter Jet (Az. 16 O 309/18 Kart) und Deichmann (Ak. 16 O 319/18 Kart)
Hausfeld: Dr. Alex Petrasincu (Federführung; Düsseldorf/Berlin), Dr. Martin Jäger (Düsseldorf), Associates: Dr. Merlin Gömann, Andreas Leidinger, Dr. Malaika Jores (alle Kartellrecht/Prozessführung; alle Berlin)

Eckart Wagner

Vertreter Classic und acht weitere Mineralölunternehmen (Az. 16 O 307/19 Kart)
Wagner Legal (Hamburg): Eckart Wagner (Kartellrecht)

Vertreter Rossmann (Az. 16 O 110/18 Kart), Agravis (Az. 16 O 167/18 Kart), Praktiker (Az. 16 O 262/18 Kart)
SGP Schneider Geiwitz (Ulm): János Morlin, Dr. Volker Soyez; Associate: Rebecca Gebhardt-Balle (alle Kartellrecht)

Vertreter Tamoil (Az. 16 O 25/20 Kart)
Heuking Kühn Lüer Wojtek (Hamburg): Dr. Ralf Wojtek

Rüdiger Lahme

Vertreter Deutsche Post und Deutsche Bahn (Az. 16 O 21/19 Kart)
Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan (Hamburg): Prof. Dr. Rüdiger Lahme, Henning Wienstroth (beide Kartellrecht/Litigation)

Vertreter Esso (Az. 16 O 8/20 Kart ) und Shell (Az. 16 O 387/18 Kart)
Heuking Kühn Lüer Wojtek (Hamburg): Dr. Frederik Wiemer, Dr. Stefan Bretthauer; Associate: Jia-Xi Liu (alle Kartellrecht)

Frederik Wiemer

Vertreter Eni (Az. 16 O 479/19 Kart)
Cleary Gottlieb Steen & Hamilton (Köln): Dr. Wolfgang Deselaers, Dr. Julian Sanner (beide Federführung), Rüdiger Harms (Prozessrecht); Associate: Samira Meis (alle Kartellrecht) 

Vertreter Bundesverband Deutscher Banken (Privatbanken)
Dentons (Berlin): Dr. Jörg Karenfort, Dr. Norman Hölzel (beide Kartellrecht), Dr. Arne Friel, Dr. Giannina Kreutz (beide Gesellschaftsrecht/Restrukturierung); Associates: Johanna Weschke, Patrick Schwentker (beide Kartellrecht)

Vertreter BVR (Volksbanken)
Noerr (Berlin): Dr. Henner Schläfke, Dr. Kathrin Westermann (beide Federführung); Associates: Lea Stegemann (Litigation), Sebastian Wrobel, Immo Schuler, Miriam Borggrefe (beide München; alle Kartellrecht)

Andreas Hahn

Vertreter DSGV (Sparkassen)
Oppenländer (Stuttgart): Dr. Andreas Hahn, Dr. Martin Fink (beide Federführung; beide Kartellrecht), Dr. Matthias Lorenz (Litigation); Associates: Tobias Gawaz, Simon Gollasch (beide Kartellrecht) 

Stefan Ohlhoff

Vertreter VÖB (öffentliche Banken)
WilmerHale (Berlin): Dr. Stefan Ohlhoff (Kartellrecht), Dr. Katrin Meschede (Öffentliches Recht); Associates: Tamara Rudinac, Vincent Pàl, Zakiya Mzee (alle Kartellrecht)

Luidger Röckrath

Vertreter Postbank/Deutsche Bank
Gleiss Lutz: Dr. Luidger Röckrath (Litigation; München), Dr. Alexander Fritzsche. Dr. Ulrich Denzel (Stuttgart); Associates: Dr. Saskia Kirchgeßner (beide Frankfurt; alle Kartellrecht), Dr. Simon Fischer (Litigation; München)

Berater Unicredit
Sernetz Schäfer (München): Prof. Dr. Helge Großerichter, Dr. Susanne Zwirlein-Forschner, Dr. Ferdinand Kruis (alle Litigation)

Landgericht Berlin, 16. Zivilkammer
Martin Vogel (Vorsitzender Richter), Dr. Meike Gotham, Tobias Christ

Hintergrund: Beklagte sind in der Regel nicht die Banken selbst, sondern deren Verbände, die seit Beginn des Verfahrens auf ihre vertrauten Berater setzen. Hahn, Karenfort und Westermann beraten ihre jeweiligen Mandanten auch zu anderen Themen. Eine Ausnahme ist die Klage des Tankstellenbetreibers Jet: Dieser hat neben den Verbänden auch die Postbank verklagt. Ursprünglich war auch die Deutsche Bank Beklagte, vertreten von Latham & Watkins. Als die Postbank in der Deutschen Bank aufging, wurde die Vertretung im EC-Cash-Verfahren auf eine Kanzlei konzentriert: Gleiss Lutz. Das Postbank-Mandat ging ursprünglich auf Kontakte von deren Stuttgarter Partner Denzel zurück, geführt wird das Mandat allerdings seit Längerem von Röckrath und Fritzsche.

Heuking ist auf Klägerseite gleich für drei Mineralölunternehmen tätig. Das Team um Wiemer und Bretthauer setzte sich zunächst in einem Pitch als Shell-Vertreterin durch, später kam Esso dazu. Unabhängig davon kam danach noch Tamoil als Mandantin hinzu, die hinter Chinese Walls von Namenspartner Wojtek vertreten wird.

Der Hamburger Kartellrechtler Wagner berät bereits seit 20 Jahren diverse Mineralölunternehmen. Er hat bereits 2014 Mittelstandsverbände zu den damaligen EC-Cash-Verpflichtungszusagen der Banken beraten und diese in anschließenden Verfahren vertreten. Darauf geht das aktuelle Mandat zurück, in dem Wagner eine Streitgenossenschaft vertritt.

Quinn Emanuel vertritt die Deutsche Post und die Bahn in einer gemeinsamen Klage. Ursprünglich führte die Partnerin Dr. Nadine Herrmann das Mandat. Als diese im vergangenen September verstarb, übernahm Lahme die Federführung. (mit Material von dpa)

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