Kostet Behördenfehler Milliarden?

Redeker soll Corona-Klagewelle gegen Nordrhein-Westfalen brechen

Müssen Corona-Soforthilfen aus den frühen Tagen der Pandemie zurückgezahlt werden? Darüber gibt es Streit in Nordrhein-Westfalen.

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Rund 2.500 Klagen führen Kleinbetriebe gegen Rückzahlungsbescheide. Einige waren erfolgreich. Insgesamt könnte ein Fehler des Gesetzgebers Milliarden kosten. Für das Berufungsverfahren wappnet sich das Land mit einer neuen Kanzlei.

Es ist aus Sicht von NRW die Spitze eines bedrohlichen Eisbergs: Ein Dutzend Niederlagen hat das Land vor den Verwaltungsgerichten Düsseldorf, Köln und Gelsenkirchen kassiert.

Marco Rietdorf

Auf der Klägerseite standen Kleinunternehmen, die gegen Bescheide zur Rückzahlung von Corona-Hilfen klagen. Dabei geht es jeweils nur um ein paar Tausend Euro, aber da die Hilfen in der Pandemie an rund 400.000 Empfänger ausgezahlt wurden, müsste das Land eine Milliardensumme abschreiben, wenn diese Hilfen allesamt nicht zurückgezahlt würden.

So weit ist es aber noch lange nicht. Gegen die Urteile der Verwaltungsgerichte geht das Land vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in Berufung. Verloren hatte das Land, weil die Gerichte der Argumentation der Kläger folgten – dass nämlich die Antragsformulare und Genehmigungsbescheide missverständlich waren. Deshalb hoben die Richter die Bescheide auf.

„Unklarheiten treffen die Behörden – das ist einfach so“

„Unklarheiten gehen immer zu Lasten der Behörden, nicht der Empfänger. Das ist einfach so“, so formulierte es das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Die Unklarheit geht auf eine Besonderheit in NRW zurück. 

Bund und Länder hatten zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 Förderprogramme geschaffen, um Kleinunternehmer, Selbstständige und Freiberufler finanziell zu entlasten. Das Land NRW änderte jedoch später die Förderbedingungen seines milliardenschweren Programms ‚NRW-Soforthilfe 2020‘ zu Lasten der Hilfe-Empfänger durch eine rückwirkend erlassene Förderrichtlinie. Darin wurden die Vorgaben im Nachhinein enger gefasst: Maßstab für die Soforthilfen waren pandemiebedingte Verluste – und nicht, wie man es zu Beginn des Programms verstehen konnte, bereits Umsatzeinbußen.

Andere Länder haben es hinbekommen – Pech für NRW

Andere Bundesländer hatten bereits zu Beginn der Hilfsprogramme Förderrichtlinien verabschiedet – oder gleich klargemacht, dass es sich nur um vorläufige Bewilligungen handelte. So sagen die Gerichte bisher sinngemäß: Andere haben es auch hinbekommen, Pech für NRW. 

In NRW sind nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bei den Verwaltungsgerichten rund 2.500 Klagen gegen Schlussbescheide eingelegt worden. Selbst wenn diese Verfahren für das Land alle verloren gingen: Die Summe wäre angesichts von insgesamt 400.000 Hilfeempfängern, die alle zwischen 9.000 und 50.000 Euro erhalten haben, überschaubar.

Marc Dinkhoff

Das Problem ist: Politisch wäre es schwer durchzuhalten, bei einer Niederlage nicht auch die 397.500  Empfänger, die nicht geklagt haben, gleich zu behandeln. Und dann wäre auch die Frage zu klären, wie der finanzielle Schaden zwischen Land und Bund aufgeteilt würde.

Vertreter NRW
Wolter Hoppenberg (Münster): Dr. Marc Dinkhoff, Dr. Nadine Bethge; Associate: Christian Eickeler (alle Öffentliches Recht)
Redeker Sellner Dahs (Bonn): Dr. Marco Rietdorf, Dr. Michael Winkelmüller; Associates: Dr. Philipp Bender, Dr. Christian Lutsch (alle Öffentliches Recht)

Marieke Schwarz

Vertreter IG NRW-Soforthilfe
Orth Kluth (Düsseldorf): Marieke Schwarz (Federführung), Dr. Michael Sitsen, Alexander Falk (alle Öffentliches Recht), Prof. Dr. Michael Bohne (Datenschutzrecht); Associates: Dr. Kerstin Bogusch (Öffentliches Recht), Anna Bosch (Datenschutzrecht)

Vertreter weitere Kläger
Claim (Köln)
Stefanie Schmidt-Nowak (Münster)
von Buttlar (Stuttgart)

Hintergrund: Auf Klägerseite finden sich eine Vielzahl kleinerer Kanzleien und Einzelanwälte sowie spezialisierte Verbraucherkanzleien. Die mittelständische Einheit Orth Kluth vertritt die Interessengemeinschaft (IG) NRW-Soforthilfe um den Unternehmer Reiner Hermann. Darin haben sich rund 10.000 Kleinunternehmer, Solo-Selbstständige und Freiberufler zusammengeschlossen, um gegen Rückzahlungsbescheide vorzugehen. Zwei klägerfreundliche Urteile in Köln (Az. 16 K 412/22) und Gelsenkirchen (Az. 19 K 297/22) erstritt das Team um Schwarz und Sitsen für die IG.

Kanzleiwechsel in der Berufung

Die auf Öffentliches Recht spezialisierte Kanzlei Wolter Hoppenberg mit Standorten in Hamm, Münster, Osnabrück und Berlin vertritt das Land in sämtlichen erstinstanzlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Programm ‚NRW-Soforthilfe 2020‘ – mehrere Hundert Verfahren hat das Team um Dinkhoff gewonnen, das auch vorher regelmäßig das Land vor Verwaltungsgerichten vertrat. 

Dennoch hat das Land für das Berufungsverfahren vor dem OVG Münster die Kanzlei gewechselt. Redeker zählt zu den führenden Schwergewichten im Öffentlichen Recht. Anwälte des Bonner Büros vertreten das Land bereits umfassend in anderen coronabezogenen Streitigkeiten. So sind die Beschränkungen der Freiheitsrechte in den Corona-Schutzverordnungen hundertfach von Bürgern angegriffen worden, wobei das Land stets auf Redeker setzt. Auch in der Auseinandersetzung mit Bundesligavereinen im Zusammenhang mit Geisterspielen hat ein Team um Rietdorf das Land NRW vertreten.

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