Dutzende Sägewerke haben Baden-Württemberg und andere Bundesländer verklagt, da sie durch die kartellrechtswidrige staatliche Holzvermarktung jahrelang zu viel bezahlt hätten. Die Sägewerke haben ihre Ansprüche an sogenannte Ausgleichsgesellschaften für die Sägeindustrie (ASG) abgetreten, die sie gebündelt in fünf großen Verfahren gegen Bundesländer geltend machen. Gesamtstreitwert inklusive Zinsen: etwa 800 Millionen Euro. Die nun abgewiesene Klage gegen Baden-Württemberg ist mit 450 Millionen Euro die größte.
Schlacht um Sammelklagen
Bei den verbreiteten Abtretungsmodellen in Kartellfällen wie Lkw und Zucker, aber auch im Dieselskandal, treten Plattformen wie Financialright oder eben die Ausgleichsgesellschaften für Sägewerke als Klagevehikel auf: Sie lassen sich viele Einzelansprüche abtreten und fungieren als Inkassodienstleister. Ob und wie diese Konstruktion zulässig ist, darüber tobt vor deutschen Gerichten seit Jahren ein erbitterter Kampf. Nachdem zuletzt durch mehrere Urteile die Kläger im Aufwind waren (kein RDG-Verstoß), bedeutet die Entscheidung des LG Stuttgart einen Rückschlag für Inkasso-Sammelklagen.
Inkassolizenzen sollen nicht für Kartellklagen gelten
Die Kammer sieht mehrere Verstöße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Besonders bemerkenswert ist ein Argument, das in vielen milliardenschweren Kartellschadensersatz-Komplexen als Verheißung oder Bedrohung ankommen wird – je nachdem, auf welcher Seite man steht: Registrierte Inkassodienstleister dürfen gar keine Kartellschadensersatzklagen führen. Denn, so das Gericht in seiner ungewöhnlich ausführlichen Pressemitteilung: Im Holzfall überschreite die ASG ihre Inkassobefugnis – vielmehr biete sie damit Rechtsdienstleistungen auf dem Gebiet des Kartellrechts an. Sowohl die Rechtsfragen als auch die jeweils zu beurteilenden Sachverhalte seien im Kartellschadensersatzrecht aber wesentlich komplexer als bei einer üblichen Inkassodienstleistung, so die Kammer. „Mithin verfügt die Klägerin im Streitfall nicht über die erforderliche Erlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz.“
Dieses Argument ist im Reigen der Argumente gegen Inkasso-Sammelklagen bisher selten vor Gericht durchgedrungen. Nur das LG Hannover hatte in einem Fall aus dem Zuckerkartell im vergangenen Jahr ebenfalls festgestellt: Wegen der Komplexität der Rechtsfragen im Kartellschadensersatz werden die typischerweise vorhandenen Rechtskenntnisse bei einem Inkassodienstleister nicht mehr hinreichend sein – Klage abgewiesen.
Am Ende muss der BGH entscheiden
Es gibt mittlerweile zwei Urteile des Bundesgerichtshofs zu Abtretungsmodellen und improvisierten Sammelklagen: Neben dem klägerfreundlichen Airdeal-Urteil des II. Zivilsenats vom vergangenen Sommer ist dies das sogenannte Lexfox-Urteil von 2019 (Az. VIII ZR 285/18). Beide Urteile sind nicht deckungsgleich, sodass es spannend werden dürfte, wie der BGH im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung die nächsten Fälle angeht, die ihn erreichen. Dass auch der Fall Holz, in dem das LG noch mehrere weitere Bedenken gegen das Abtretungsmodell formuliert, irgendwann in Karlsruhe landen wird, gilt als wahrscheinlich.
Vertreter Sägewerke
Quinn Emanual Urquart & Sullivan (Hamburg): Prof. Dr. Rüdiger Lahme (Federführung); Associates: Dr. Andreas Ruster, Dr. Tim Willing, Isabelle von Thuemmler, Moritz Loeck, Alicia Helle, Ulrich Stoll (alle Hamburg); Holger Hiss (Stuttgart; alle Konfliktlösung)
Vertreter Baden-Württemberg
CMS Hasche Sigle (Stuttgart): Dr. Harald Kahlenberg, Dr. Rolf Hempel (beide Federführung), Dr. Tim Reher (Hamburg), Peter Giese, Martin Cholewa (alle Kartellrecht), John Hammond, Dr. Sabina Krispenz (beide Gesellschaftsrecht); Associates: Angelika Wieczorkowski, (Kartellrecht), Simone Philipp, Pia Klages (beide Gesellschaftsrecht)
Landgericht Stuttgart, 30. Zivilkammer
Silvia Grube (Vorsitzende Richterin), Ulrich Hauff, Martin Seeger
Hintergrund: Neben Baden-Württemberg gibt es vier weitere Länder, die von Sägewerken mit Quinn Emanuel verklagt werden: Nordrhein-Westfalen (LG Dortmund, Az. 8 O [Kart] 7/2020), Hessen (LG Frankfurt, Az. 2-06 O 190/20), Thüringen (LG Erfurt, Az. 3 O 1576/20) und Rheinland-Pfalz (LG Mainz, Az. 9 O 125/20). Auch diese Verfahren werden von dem Prozessfinanzierer Burford unterstützt. Daneben ist die Klage einer weiteren Gruppe von Holzverarbeitern vor dem LG Stuttgart anhängig: Darin haben sich 58 Sägewerke zu einer Streitgenossenschaft zusammengeschlossen, sie fordern vom Land 83 Millionen Euro Schadensersatz (Az. 30 O 521/20). Hier vertritt die Kanzlei SGP Schneider Geiwitz die Kläger.
CMS hat das Land Baden-Württemberg zum Thema Rundholzvermarktung bereits lange vor Beginn des Schadensersatzprozesses vertreten. Der Stuttgarter Partner Kahlenberg übernahm den Fall vor der Abstellungsverfügung des Amtes von 2015 und vertrat das Land vor dem OLG Düsseldorf wie auch beim Sieg vor dem Bundesgerichtshof. Für die Abwehr der Sägewerksklagen rückten die Kartellschadensersatz-Spezialisten Hempel und Reher mit in das Mandat. Da das Klagevehikel ASG von einer englischen Gesellschaft gegründet wurde und die Ausgestaltung des Abtretungsmodells im bisherigen Prozessverlauf eine zentrale Rolle spielte, ist auch der Stuttgarter Partner Hammond beteiligt, ein Spezialist für englisches Gesellschaftsrecht.
Die Länder Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen werden von Redeker Sellner Dahs vertreten, das Land Nordrhein-Westfalen von Graf von Westphalen.
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