Prozessauftakt zu neuen Klimaklagen

Konzerne wehren sich mit Top-Kanzleien gegen Greenpeace und Co.

Am Landgericht Detmold wird ab heute die Klage eines von Greenpeace unterstützten Bauern verhandelt, die VW zu mehr Klimaschutz zwingen soll. Viele halten den Atem an, denn es ist nur der Auftakt einer Reihe strategischer Klimaklagen. Auch Mercedes-Benz, BMW und der Energiekonzern Wintershall haben sich bereits mit Top-Kanzleien gewappnet.

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VW im Visier von Greenpeace: Hier stehen Demonstrierende der Umweltorganisation im September 2021 vor einer Halle, in der eine Veranstaltung des Konzerns stattfand.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Klimabeschluss im vergangenen Jahr Türen aufgestoßen, nun durchschreiten Umweltorganisationen sie entschlossen. In Detmold geht es ab heute um die Klage eines von Greenpeace unterstützten Bauern gegen Volkswagen (Az. 01 O 199/21). Er fordert von dem Autokonzern, juristisch gesprochen, „Unterlassung und Beseitigung übermäßiger CO2-Emissionen durch Geschäftstätigkeiten“. Konkret: Ab sofort soll höchstens ein Viertel der von VW verkauften Autos einen Verbrennungsmotor haben dürfen, ab 2030 soll der Verkauf von Verbrennern gänzlich verboten sein.

„Autokonzerne zerstören unsere Lebensgrundlagen“

Roda Verheyen

„Klimaschutz ist Menschenrecht“, sagt die Greenpeace-Anwältin Dr. Roda Verheyen, Partnerin der Hamburger Kanzlei Günther. Jedes Gericht müsse sich fragen, wen das Recht letztlich schütze: „Den Planeten und die Menschen, die darauf leben wollen, oder die Interessen einiger Konzerne.“ Wer Klimaschutz verzögere, schade anderen und verhalte sich damit rechtswidrig.

Das leitet Verheyen aus dem Karlsruher Klimabeschluss von 2021 ab. Darin verpflichtete das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung, die Belange der jüngeren Generation mit Blick auf den Schutz des Klimas stärker zu gewichten. „Das gilt auch und gerade für die deutsche Autoindustrie mit ihrem gigantischen globalen CO2-Fußabdruck“, sagt Verheyen. „Das Zivilrecht kann und muss uns helfen, zu verhindern, dass Konzerne unser aller Lebensgrundlagen zerstören und unseren Kindern und Enkeln das Recht auf eine sichere Zukunft nehmen.”

Es gibt eine ähnliche Klage gegen VW am Landgericht Braunschweig, Kläger sind hier zwei Greenpeace-Geschäftsführer und die Fridays-for-Future-Aktivistin Clara Mayer. Die Deutsche Umwelthilfe klagt seit dem vergangenen Herbst mit derselben Stoßrichtung vor den Landgerichten München I (BMW), Stuttgart (Mercedes-Benz) und Kassel (Wintershall Dea) gegen große Treibhausgasemittenten.

Shell-CEO findet niederländisches Urteil „zutiefst verstörend“

Stets geht es darum, dass den Unternehmen eine drastische Einschränkung ihres CO2-Ausstoßes – und damit ihres bisherigen Geschäftsmodells – auferlegt wird: Wintershall Dea soll spätestens ab 2026 keine neue Erdöl- und Erdgas-Förderung mehr beginnen. Mercedes-Benz und BMW sollen wie VW bereits ab 2030 keine
Verbrenner-Autos mehr bauen dürfen.

Die Beklagten halten das alles juristisch für völlig absurd. Aber sicher sein, dass nichts anbrennt, können sie auch nicht. In den Niederlanden wurde der Ölkonzern Shell in erster Instanz dazu verurteilt, seine Investitionspläne so zu ändern, dass sie im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens stehen. Konkret soll der Ölkonzern die Menge der CO2-Emissionen, die durch die Verbrennung von Öl und Gas entstehen, bis 2039 um 45 Prozent und bis 2050 auf null Prozent reduzieren. Damit steht das Geschäftsmodell von Shell insgesamt zur Disposition. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber dass überhaupt ein Gericht so entschieden hat, gilt als Durchbruch oder böses Omen – je nach Standpunkt.

Shell-CEO Ben van Beurden sagt zu dem Urteil, er finde es „zutiefst verstörend“, dass Shell als einzelnes Unternehmen dafür verantwortlich gemacht werden solle, wie die Welt Energie produziere und nutze. „Besorgniserregend ist auch, dass das Urteil mancherorts auf so viel Zustimmung gestoßen ist, als ob dies tatsächlich die Lösung wäre, die die Gesellschaft braucht.“

„Die Kläger wollen unser Haftungssystem sprengen“

Rechtlich dürften es die Kläger in Deutschland noch schwerer haben als in Holland. Sie müssten die Gerichte überzeugen, dass man von Unternehmen, die sich an alle erteilten Genehmigungen halten, zivilrechtlich mehr verlangen kann, als sie unter verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten leisten müssen.

Wolf Spieth

„Die Kläger versuchen, das Koordinatensystem des Rechts auszudehnen“, sagt Dr. Wolf Spieth von Posser Spieth Wolfers & Partners, der den VW-Konzern in Detmold und Braunschweig vertritt. „Damit müssen sie rechtlich scheitern, denn ihr Ansatz liefe auf die Sprengung unseres Haftungssystems hinaus.“ Die Verteilung und Ausgestaltung von Reduktionslasten gehöre nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung ins Parlament und nicht vor die Zivilgerichte. „Für solche Verteilungsentscheidungen gilt der Vorbehalt des Gesetzes.“

Dr. Janett Fahrenholz, die leitende Regulierungsexpertin in der Konzern-Rechtsabteilung, beteuert: „VW hat selbst ein Interesse an möglichst klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen, um die gewaltigen Investitionen für mehr Klimaschutz rechtssicher und mit dem größten Effekt tätigen zu können.“ 

VW-Klage könnte beim OLG Hamm landen

Es ist unwahrscheinlich, dass bereits heute in Detmold etwas entschieden wird. Dass sich alle Augen auf die Stadt in Ostwestfalen-Lippe richten, hat mit der enormen symbolischen und auch rechtlichen Bedeutung des Grundsatzfalls zu tun.

Sollte die Klage scheitern, würde die Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm verhandelt. Dort liegt bereits der weltweit beachtete Fall des peruanischen Bauern Saúl Lliuya, der RWE wegen seiner Mitschuld am Klimawandel verklagt hat. In diesen Tagen bricht der 5. Senat des OLG zur Beweisaufnahme in die Anden auf. So klar, dass sie die Klage aus dem Stand abweisen könnten, scheint der Fall aus Sicht der Richterinnen und Richter also nicht zu liegen.

Vertreter Greenpeace
Günther (Hamburg): Dr. Roda Verheyen (Öffentliches Wirtschaftsrecht)

Janett Fahrenholz

Vertreter VW
Posser Spieth Wolfers & Partners (Berlin): Dr. Wolf Spieth, Niclas Hellermann; Associates: Dr. Justus Quecke, Viviane Grandmontagne (alle Öffentliches Wirtschaftsrecht)
Sernetz Schäfer (München): Dr. Jens von Rüden, Dr. Manfred Wolf, Dr. Niklas Bartmann (alle Prozessrecht)
Rothorn (Frankfurt): Prof. Dr. Rolf Trittmann (Prozessrecht)
Inhouse (Wolfsburg): Dr. Janett Fahrenholz (Head of Regulatory Law), Dr. Christof Austermann (Regulatory Law), Hubert Nieswandt (Head of Product and Environment Law, Electromobility)

Landgericht Detmold, 1. Zivilkammer
Manfred Pohlmeier (Vorsitzender Richter)

Remo Klinger

Vertreter Deutsche Umwelthilfe
Geulen & Klinger (Berlin): Prof. Dr. Remo Klinger (Öffentliches Wirtschaftsrecht)

Sabine Konrad

Vertreter Wintershall Dea
Morgan Lewis & Bockius (Frankfurt): Dr. Sabine Konrad; Associates: Dr. Maximilian Pika, Pierre Trippel (alle Prozessführung)
Inhouse (Kassel): Dr. Christine Sauerwald (Vice President Business Affairs), Prof. Dr. Mathias Wolkewitz (General Counsel)

Moritz Keller

Vertreter BMW
Clifford Chance (Frankfurt): Dr. Moritz Keller (Prozessführung), Dr. Thomas Voland (Öffentliches Wirtschaftsrecht; Düsseldorf); Associates: Dr. Sunny Kapoor (Prozessführung), Felix Feldmann (Öffentliches Wirtschaftsrecht), Maximilian Sondermann (Prozessführung; beide Düsseldorf)
Inhouse (München): Dr. Cedrik Thiele (Leiter Litigation), Dr. Fabian Krause, Dr. Haris Uzunović, Christoph Hartmann

Markus Rieder

Vertreter Mercedes-Benz
Gibson Dunn & Crutcher (München): Dr. Markus Rieder; Associate: Valentin Held (Frankfurt; beide Prozessführung)
Inhouse (Stuttgart): Dr. Angela Kölbl (Head of Global Litigation), Stephanie Roth (Head of Strategic, Data and Product Litigation)

Hintergrund: Die Beteiligten sind aus dem Markt bekannt. Günther-Partnerin Verheyen ist häufig für Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen tätig. Sie vertritt unter anderem auch den von Germanwatch unterstützten Peruaner Saúl Lliuya gegen RWE sowie die Greenpeace-Geschäftsführer in der zweiten Klimaklage gegen VW, die am LG Braunschweig anhängig ist. Auch Klinger ist regelmäßig für Umweltorganisationen im Einsatz, etwa im Zusammenhang mit Diesel-Fahrverboten. Verheyen und Klinger stehen auch hinter den Verfassungsbeschwerden, die zum Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts geführt haben.

Viele Ex-Freshfields-Anwälte in der ersten Reihe

Auffällig ist, dass Freshfields Bruckhaus Deringer, die RWE in der Peru-Klage federführend vertritt, in der Verteidigerriege der neuen Klimaklagen bisher fehlt. Dafür stehen viele frühere Freshfields-Partner in der ersten Reihe. Das gilt für die Prozessteams von VW und BMW.

2018 hatte sich ein Team prominenter Freshfields-Öffentlichrechtler als Posser Spieth Wolfers selbstständig gemacht. Die neue Kanzlei ist bei regulatorischen und verfassungsrechtlichen Themen umfassend für VW tätig. Unter anderem steht sie dem Konzern im Zusammenhang mit dem Dieselskandal und Fahrverboten und nun in den Klimaklagen vor den Landgerichten Detmold und Braunschweig zur Seite.

Manfred Wolf

Im Zivilprozessrecht werden Spieth und Hellermann unterstützt von Rothorn-Partner Trittmann, der ebenfalls bis vor zwei Jahren Freshfields-Partner war, sowie von Sernetz Schäfer. Die dort federführenden Partner Wolf und von Rüden beraten und vertreten VW an der Seite von Freshfields seit Längerem im Dieselkomplex, insbesondere bei der Abwehr von Massenklagen zum Motorentyp EA 288. Bartmann war mehrere Jahre Mitarbeiter der BGH-Kanzlei Rohnke Winter, bevor er 2021 zu Sernetz kam.

Der nächste Gerichtstermin betrifft Mercedes-Benz

Auch Mercedes-Benz setzt bei der Abwehr der Klimaklage der Deutschen Umwelthilfe, zu der demnächst am LG Stuttgart verhandelt werden soll, auf bewährte Vertreter. Rieder gehörte bereits als Partner von Latham & Watkins zur Riege der Anwälte, die Daimler im Dieselkomplex vertreten. 2020 wechselte Rieder zu Gibson Dunn. Er verteidigt Mercedes-Benz unter anderem gegen eine Musterfeststellungsklage im Dieselkomplex.

Norbert Wimmer

Ähnlich wie VW dürfte auch der Stuttgarter Autobauer in Sachen Klimaklage den Rat weiterer Kanzleien einholen. Im Markt bekannt ist etwa, dass White & Case den Konzern umfassend in regulatorischen Fragen berät, vor allem im Dieselkomplex. Federführend ist hier der Berliner Partner Prof. Dr. Norbert Wimmer tätig. Weiterhin ist bekannt, dass Dentons-Partner Dr. Jörg Karenfort, ein Kartellrechtler, den Konzern strategisch berät.

Ex-Freshfields-Anwälte von Clifford helfen BMW

Das Clifford-Team, das für BMW vor dem LG München I im Einsatz ist, besteht wie Teile des VW-Teams aus ehemaligen Freshfields-Anwälten. Die federführenden Partner Keller, ein Prozessspezialist, und der Öffentlichrechtler Voland, wechselten beide 2018 zu Clifford. Keller ist auf internationale Schiedsverfahren spezialisiert, auch im Investitionsschutz. Vor staatlichen Gerichten ist er häufig im Zusammenhang mit energierechtlichen Streitigkeiten zu sehen.

Einen ähnlichen Hintergrund wie Keller hat Morgan Lewis-Partnerin Konrad, die für das Öl-und Gasunternehmen Wintershall eine Klimaklage der Umwelthilfe abwehren soll. Sie gehört zu den bekanntesten deutschen Spezialistinnen für Investitionsschutzverfahren – und hat unter anderem die Bundesrepublik gegen eine Milliardenklage des schwedischen Vattenfall-Konzerns vor dem Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) vertreten.

Copyright Foto von Roda Verheyen: Sven Simon /Picture Alliance

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