Neben den Klassikern Diesel, Cum-Ex und Kartellschadensersatz hielt diesmal auch der Wirecard-Skandal Anwältinnen und Anwälte in Atem – und es wird immer deutlicher, dass Massenverfahren den Litigation-Markt umwälzen.
Oberwasser für Inkasso-Sammelklagen
Ein halbes Jahrzehnt nach Bekanntwerden des Dieselskandals können Kanzleien heute dank Legal Tech und verbessertem Mandatsmanagement Massenverfahren in zuvor kaum vorstellbaren Ausmaßen bewältigen. Die EU-Sammelklage ist beschlossen, sie sieht ausdrücklich Leistungsklagen und Prozessfinanzierung vor. Unabhängig davon schaffen Legal-Tech-Dienstleister mit Inkassolizenz einen neuen Massenmarkt für Verbraucherklagen. Nachdem längere Zeit ein Oberlandesgericht nach dem anderen die für die meisten Inkasso-Sammelklagen nötigen Abtretungsmodelle für unzulässig erklärt hatte, schlug im vergangenen Jahr das Pendel wieder zugunsten der Kläger aus – etwa im Airdeal-Urteil des Bundesgerichtshofs.
Weiterhin ein wichtiges Thema vor deutschen Gerichten mit meist hohen Streitwerten ist Kartellschadensersatz. Hier hat es die ersten BGH-Urteile im Lkw-Komplex gegeben. Im Schienenkartell entschieden die Karlsruher Richterinnen und Richter unter anderem zu Pauschalklauseln für Kartellschäden. Auch neuartige Streitigkeiten um Marktmacht, etwa auf Basis der 2021 eingeführten Tipping-Regel im Kartellrecht, beschäftigen zunehmend die Justiz.
Nach dem Diesel-Peak ist vor der ESG-Welle
So gilt: Aus Sicht der Disputes-Praxen ist für die meisten zwar der Diesel-Peak überschritten, aber neue, arbeitsintensive Großkomplexe sind schon da oder wenigstens in Sicht: Corona-Folgen, Wirecard, Datenschutzverstöße – überall gibt es Tausende von Geschädigten mit Ansprüchen. Auch Klagen wegen Verstößen gegen ESG-Kriterien (Ecological, Social, Governance) sind ein Wachstumsfeld. Daneben wird die Arbeit auch in Bereichen, die ohnehin seit Jahren boomen, nicht weniger – dazu zählen auch Schiedsverfahren.
Dass der Markt in Bewegung ist, zeigen mehrere Kanzleigründungen und Partnerwechsel. Der ehemalige Freshfields Bruckhaus Deringer-Partner Prof. Dr. Rolf Trittmann etwa gründete mit Prof. Dr. Nathalie Voser von Schellenberg Wittmer eine deutsch-schweizerische Schiedskanzlei. In Düsseldorf machte sich Ulrike Gantenberg, die prominenteste Schiedsrechtlerin von Heuking Kühn Lüer Wojtek, selbstständig.